Von Aschebüchern und Frühlingzwiebeln

Auf der Suche nach einer alten Handschrift stoße ich auf sie: die Weimarer Aschebücher. So heißen  die ca. 25.000 Bücherreste, die den verheerenden Brand der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek im Jahr 2004 überlebt haben – anders als die ca. 50.000 Dokumente, die komplett verbrannten. Eine 2008 eingerichtete Werkstatt versucht, die oft schwer beschädigten Aschebücher in ihrem jetzigen Zustand zu sichern und so der Nachwelt zu erhalten. Manches darin ist noch lesbar, anderes nicht mehr. Und unübersehbar: die Brandspuren.

Mit Asche als „Verkleidung der anderen Art“ begann auch dieses Jahr die Fastenzeit – gestreut, nicht gestrichen. Eine Brandspur, die, so verabreicht, kaum sichtbar ist und schnell vom Winde verweht. Trotzdem hat mich das Zeichen nach Entdeckung der Aschebücher sehr angesprochen. Und alte Fragen aufgeworfen:  Was mache ich mit meinen Brandspuren aus früheren Verletzungen oder dem Schwelbrand der aktuellen Einschränkungen? Kann ich, wie am Aschermittwoch die Kirche, damit erhobenen Hauptes das Haus verlassen? Wie fallen meine eigenen Reaktionen auf meine Brandzeichen und die anderer aus? Und wie reagieren andere auf mich und wie ich auf deren Reaktion? Wie gehe ich damit um, dass ich  einmal nicht mehr auf dieser Welt sein, ausgelöscht sein werde?

Ähnlich unverhofft wie die Fastenzeit nach ausgefallenem Karneval brach jetzt vorzeitig der Frühling aus. Die Frühlingsblumen explodieren. Besonders spannend: Blumen, die jedes Jahr aus derselben Zwiebel austreiben und sich, wenn sie ausgeblüht sind, für die längste Zeit im Jahr wieder unter die Erde zurückziehen. Ich sträube mich, die Winterjacke schon im Februar wegzulegen. So werde ich sozusagen auch von der anderen Seite unübersehbar auf die Frage gestoßen: Wie hängen Tod und Leben für mich zusammen?

In der Oper „Die Zauberflöte“ von Mozart, dem Herzogin Anna Amalia kurz nach seinem Tod eines der ersten Denkmäler setzte, müssen zwei Hauptfiguren vor dem Happy End durch die Elemente, also auch durch das Feuer gehen. Ich bin gespannt, welche Feuerproben diese Fastenzeit für mich bringt …

Text: Thomas Hoogen
Foto: Maxim Lugina/Unsplash

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