Die Welt da draußen

„Die Welt unter Corona ist eine andere geworden.“ Das sagt sich so dahin, aber es füllt sich jeden Tag neu mit Erlebnissen. Drei positiv herausfallende gehen mir seit einiger Zeit nicht mehr aus dem Kopf:

Ende letzten Jahres hatte ich das erste Mal seit Jahren wieder ein regelmäßiges Fernsehdate: Jeden Freitagabend saßen wir vor „Ninja Warriors“ und guckten Menschen jedweden Geschlechts dabei zu, wie sie akrobatisch durch ein Studio turnten. Die sportlichen Leistungen waren atemberaubend – es war neidfreie Bewunderung meinerseits: ich, mit Bauch, am Seil – never!

Aber es waren zwei andere Details, die uns noch mehr beeindruckten: Da war einmal die große Community der SportlerInnen, die immer den Eindruck erweckte, dass sie miteinander und nicht gegeneinander kämpften. Natürlich wollte jeder selbst gerne gewinnen – aber der Support für den jeweils im Parcours kletternden Menschen war immer sehr stark durch die ihn Anfeuernden, die die jeweilige Leistung respektierten und unterstützten. Wer auf halber Strecke ins Wasserbecken fiel wurde nicht mit Häme überschüttet.

Und dann waren da noch die beiden Moderatoren, die durch eine verblüffend positive Grundhaltung auffielen, wenn sie zwar sehr präzise einschätzten, wann SportlerInnen sich überschätzten, und wenn sie sich gegenseitig an den Rand des Wahnsinns kommentierten; die aber die jeweiligen SportlerInnen immer anerkennend kommentierten. Selbst wenn da einer nur die erste Station schaffte, wurde die Leistung als solche benannt, wurde gelobt, nicht nachgetreten. Und durch diese beiden Aspekte, wurde die Sendung so etwas wie ein kleines Zuhause.

Etwas später fand ich mich in den Theoriestunden meiner Fahrschule wieder. Coronabedingt online mit einem Spezialprogramm, das sowohl dem Fahrlehrer weitgehend ermöglichte, alle Teilnehmer direkt anzusprechen und auch gut im Blick zu haben, als auch tatsächlich eine erstaunliche Menge an Methoden unkompliziert ermöglichte. Wir waren bunt gemischt, ich war einer der ältesten. Aber auch andere fielen aus unterschiedlichsten Gründen aus dem was man zuvor vielleicht erwartet hätte. Und ich begann nach einiger Zeit zu bewundern, mit welcher Ruhe und Sachlichkeit mir alles vermittelt wurde. Da war auf der einen Seite durchaus eine klare Haltung, die Disziplin einforderte und auch keinem ermöglichte einfach stumm die 14 Einheiten abzusitzen, auf der anderen Seite wurden Fehler nicht einfach rot gemarkert, sondern von den beiden Fahrlehrern vorwurfsfrei erläutert. Und selbst die absonderlichsten Rückfragen wurden in aller Seelenruhe geklärt.

Und dann war da noch der ebenfalls online stattfindende Geburtsvorbereitungskurs. Auch hier die wertschätzende Grundhaltung, für mich als Kirchenmitarbeiter wie Balsam: Zwei Frauen, die zusammen ein Kind erwarteten, führten dazu, dass die Hebamme immer darauf achtete, nicht einfach von den „Männern“ zu sprechen. Darüber hinaus aber noch etwas mehr: Wir waren online eine eher zurückhaltende Gruppe. Rückfragen kamen nur an einzelnen Stellen auf. So füllte die Hebamme wöchentlich gut zwei Stunden mit Inhalt, vermittelte grundlegendes Wissen und führte durch Atem- und Entspannungstechniken. Speziell in den Impulsvorträgen war sie absolut unaufgeregt und sachlich. Da sprach sie auch die Themen an, die man im Alltag eher selten bespricht. Da gab es kein „Pfui bah“, das durch Albernheit oder schnelles Abhandeln verfälscht wurde. Sie vermittelte stattdessen sachlich Informationen und nahm alle Teilnehmer mit. Sie sprach auch mögliche Komplikationen ruhig an, gab eine Einschätzung der Wahrscheinlichkeit. Damit gab sie eine Orientierung, ohne Panik zu verbreiten. Oder sie gab verschiedene Möglichkeiten zur Auswahl, ohne dabei immer eine als „beste“ zu markieren. Und immer erklärte, sie warum etwas geschieht, oder warum einzelnes eben doch sehr gefährlich war. Dabei nahm sie den Teilnehmenden nicht die Verantwortung ab, sondern stützte eher jede und jeden darin, selber Verantwortung zu übernehmen, nach sich selbst zu sehen, später auch: nach dem eigenen Kind zu sehen.

Und danach sitze ich jetzt hier und merke stärker noch als früher: Ich möchte nicht der Welt „als Kirche“ erklären, wie alles „richtig“ ist. Ich glaube eher, Kirche kann noch so viel von der Welt lernen.

Text/Foto: Karlchen Kubatz

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