Aschermittwoch – (das) Leben der (un-)begrenzten Möglichkeiten

„Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.“ Dieser Satz, der beim Verteilen des Aschekreuzes den Empfangenen zugesprochen wird, erinnert mich in diesem Jahr an das Leben der (un-)begrenzten Möglichkeiten.

Viele Jahre lebte ich in der Wahrnehmung scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten, aber in letzter Zeit häufen sich doch auch in meinem persönlichen Umfeld die Nachrichten über die Begrenzung der Möglichkeiten. Damit meine ich in der aktuellen Zeit ausnahmsweise nicht die Begrenzungen, die unser alltägliches Leben aufgrund der Corona-Pandemie erfährt. Es sind vielmehr die Nachrichten aus dem Familien- und Freundeskreis, die deutlich werden lassen: Das Leben ist begrenzt.

Da ist zum Beispiel die tödliche Krebserkrankung, die nun eine Stimme aus dem Chor für immer verstummen ließ. Oder die Arbeitslosigkeit, weil sich die Firma gegen die weltweite Konkurrenz nicht mehr behaupten kann oder die Manager sich verspekuliert haben. Oder das ärztliche Untersuchungsergebnis, das sagt, dass das Leben mit Mitte dreißig in Zukunft doch anders verlaufen wird, weil das Leben bereits irreparable Spuren der Abnutzung am Körper hinterlassen hat. Da ist aber zum Beispiel auch die Geburt eines Kindes, welches die Eltern zwar unendlich glücklich macht, aber das alltägliche Leben und den Aktionsradius für die nächsten Jahre deutlich einschränken wird … All das macht mir deutlich: Unser Leben ist begrenzt.

In den letzten Tagen ist mir dabei noch einmal sehr bewusst geworden, was für mich eigentlich „Leben“ heißt: Möglichkeiten zu haben, sie zu nutzen, zu generieren, sie zu verlieren. Und mit einem Mal ist die Erkenntnis brachial da: Nicht alles, was im Leben möglich gewesen wäre, habe ich als Möglichkeit auch erkannt und genutzt. Ich habe mich (un-)bewusst für oder gegen eine bestimmte Möglichkeit entschieden und zugleich damit andere Möglichkeiten begrenzt oder ausgeschlossen. Daraus entsteht der Schmerz, dass der Zeitpunkt – die andere Möglichkeit auszuwählen – unwiderruflich vorbei ist, es entsteht die Traurigkeit, weil der Zeitpunkt der Alternative niemals wiederkommen wird. Das zu akzeptieren fällt mir zugegebener Maßen nicht leicht. Zu wissen, es gab in meinem Leben Möglichkeiten, die werden für immer (theoretische) Möglichkeiten bleiben und in meinem Leben nicht mehr gelebt werden. So muss ich mich von diesen möglichen Möglichkeiten verabschieden.

Natürlich gibt es grenzenlose Optimisten, die mir nun möglicherweise entgegenhalten: „Es ist nie zu spät! Du kannst doch noch immer! Deine Grenze ist doch nur im Kopf oder eine gesellschaftliche Konvention.“ Manche Menschen können eine solche Haltung leben, ich kann es leider, bzw. wenn ich manche skurrile Umsetzung dieser Gedanken erlebe auch zum Glück, nicht.

Wenn ich lerne, dass meine Möglichkeiten begrenzt und nicht unbegrenzt sind, dann lerne ich vielleicht auch anders zu leben, also mit einer anderen Qualität zu leben. Auf den Punkt gebracht: Akzeptiere ich die natürliche Begrenzung meiner im Leben lebbaren Möglichkeiten, so wird die gelebte Möglichkeit womöglich erst in ihrer unbegrenzten möglichen Lebensqualität erfahrbar – beim (Er-)Leben der (un-)begrenzten Möglichkeiten. Zudem könnte es auch sein, dass durch die Entscheidung für und gegen eine Möglichkeit sich sogar neue Möglichkeiten ergeben, die weder andere noch ich selbst bislang für möglich gehalten oder als Möglichkeit für mein Leben überhaupt in Erwägung gezogen hatten.

Ich hoffe, dass ich nicht nur am Aschermittwoch, sondern auch irgendwann im Rückblick auf mein Leben sagen kann:

Das Leben der unbegrenzten Möglichkeiten habe ich beim Leben meiner begrenzten Möglichkeiten erfahren.

Das wäre dann eine Ahnung von der Fülle und Tiefe des Lebens, die uns von Gott verheißen sind und die uns vielleicht hoffen lassen, dass Gott das scheinbar (Un-)Mögliche möglich machen kann und uns ein Leben der unbegrenzten Möglichkeiten in ihrer*seiner Ewigkeit schenken wird.

Foto: Benjamin Kaufmann/Unsplash

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