Überrasch mich

Drei Geschichten, alle aus Münster, alle irgendwann Anfang des Jahrtausends:

Ich sitze am Klavier im Café Milagro und jamme mit einem Gitarristen und einem Schlagzeuger planlos durch die Harmonien. Ich bemerke von links eine Bewegung und sehe einen heruntergekommenen Typen im Parka mit Fusselbart. Er kniet sich relativ nah neben mir hin und wurschtelt in seinem Jutebeutel bis er zu meinem Entsetzen ausgerechnet eine Triangel herauszieht. Ich rolle innerlich mit den Augen, spiele aber weiter und will mich nicht vertreiben lassen.


Keine Minute später rotiert der seltsame Mann mit 180 Beats per Minute durch seine Triangel. Und in mir bricht eine Mauer ein. Und als ich später mit ihm rede, erfahre ich: Er ist ausgebildeter Orchestermusiker, Percussionist.


Ich sitze als Zuhörer in einem Café am Bahnhof und höre einem Mittfünfziger im Anzug zu, der Eric Clapton ein wenig ähnlich sieht, und auch so klingt. Ein junger Mann tritt neben ihn. Ich vermute er kommt aus einer türkischen Familie, er trägt Turnschuhe, Trainingsanzug. Der junge Mann flüstert dem Gitarristen etwas ins Ohr, der nickt und fällt in das gleichmäßige Bluesschema.


Und plötzlich rappt der Junge über das Leben, die Liebe und die eine Frau, die ihm nicht aus dem Kopf geht. Und ich falle in den Moment hinein und hoffe, er geht nie vorbei.


Mittagessen im Café Milagro. Entweder ich bin noch ganz neu dort, oder die üblichen bekannten Gesichter sind an dem Tag nicht da. Das Café ist voll und ich stehe zusammen mit einem anderen Studenten mit Teller in der Hand da – nur noch ein Tisch frei. Ich finde ihn komisch. Er ist eher polternd und direkt. Und er wohnt  im Wohnheim über dem Café und ich wüsste nicht, wie ich ihm aus dem Weg gehen sollte. Aber wir setzen uns zusammen hin und überbrücken das Essen mit Small Talk. Und ich weiß gar nicht mehr, wer am Ende höflich sagt: „Morgen wieder hier?“


Einige Monate später ziehe ich auch im Wohnheim ein. Und bevor ich in die gemeinsame Küche gehe ruft er regelmäßig an und sagt „Stellst Du schonmal einen Topf Wasser auf, ich komm gleich rüber.“ Wir leben eine Zeit von Fertigreisgerichten oder -nudeln und stellen zusammen Blödsinn im Wohnheim an. Und letztes Jahr hätte ich mir keinen besseren Trauzeugen vorstellen können.


Wir haben einmal über unser erstes Treffen geredet. Und ich erzähle, wie viel Überwindung es mich gekostet hatte, und wie komisch ich das fand. Und er lachte nur und sagte: „Tobi, als wir da mit den Tellern standen hab ich mir nur gedacht ‚Was ist das denn für ein komischer Vogel. Oh Gott!“


Ich hab Vorurteile. Immer schon und vermutlich auch bis an mein Lebensende.

Aber ich glaube, ich hab tatsächlich irgendwann begriffen, dass ich die besten Momente erlebte, wenn Vorurteile durchbrochen wurden, oder ich selber sie versuchsweise beiseite geschoben habe.

Das kann auch schiefgehen.

Aber wenn‘s gut geht sieht die Welt plötzlich ein klein wenig anders aus.

Foto: Bozhin Karaivanov/Unsplash

«

»