DINOSAURIER! „Können wir wirklich sicher sein?“
Bis ich 14 war habe ich Dinos gesammelt. Dann kam „Jurassic Park“ in die Kinos.
Der Film hat auf gigantische Weise das Bild von Dinos verändert. Sie ruckelten nicht mehr behäbig, sondern hüpften, rannten und sprangen von der Leinwand direkt in die Köpfe der Menschen. Jack Horner, einer meiner Jugendhelden, hatte als Berater darauf geachtet, dass die Saurier nach dem aktuellen Stand der 90er dargestellt wurden. (Bis auf den Dilophosaurus. Aber das führt hier zu weit.)
Kurz nach dem Filmstart packte ich meine Sammlung in Kisten. Als sich alle für mein bis dahin eher spezielles Hobby interessierten, war ich der Dinos müde.
Vor ein paar Jahren zappe ich in eine Doku (Dinosaurs Decoded, 2009). Flüssige Animationen, die Saurier passen sich wie gewohnt graubraun oder grünbläulich in ihre Umgebung ein. Der Sprecher sagt: „Wir glauben zu wissen, wie Dinosaurier aussahen – aber können wir wirklich sicher sein?“ Plötzlich sehe ich leuchtende Dinos; bunt wie der CSD im Alpenglühen, statt Bundeswehr im vernebelten Elbsandsteingebirge.
Alles verstörend fremd. Es verletzte meine Überzeugung, zu wissen, wie es „wirklich“ war, nachdem doch die ganzen Fehler aus über hundert Jahren in den 90ern korrigiert worden waren. Weit gefehlt.
Denn die neuen Farben sind noch nicht alles: Mein Idol Jack Horner erklärt, dass man knapp ein Drittel aller Arten aus den Büchern gar nicht existierten, weil es sich bei Ihnen um andere Arten in einem anderen Altersstadium handelt. Dazu hat er aus seiner eigenen Sammlung Dinoskelette in Querschnitte zersägt (Sakrileg!) und die Knochen analysiert.
Geändert hat sich auch die Überzeugung zur Verwandtschaft mit Vögeln. Was in den 90ern noch eine Hypothese war, ist jetzt Stand der Wissenschaft: Vögel sind Nachfahren der Dinosaurier.
Und dann zerreißt es mich: Der 4 Meter hohe T-Rex ist in einer zweiten Doku (Valley of the T. rex, 2001) nach Jack Horners Ansicht kein Jäger: „Einige Studenten und ich beschlossen T-Rex so zu betrachten, als ob noch niemand von uns zuvor von ihm gehört hätte. Wir begannen einfach das vorhandene Material zu analysieren. Wir fanden eine ganze Reihe von Hinweisen, die darauf deuten, dass T-Rex eher ein Aasfresser als ein Raubtier war. Doch davon will niemand etwas hören.“
Kein Wunder: Bei seiner Entdeckung 1902 in den „Badlands“ (!) schockierten die wenigen Knochen und Riesenzähne. Man vermutete, den „König der Tyrannen“ gefunden zu haben, also: „Tyrannosaurus rex“. In der ersten Ausstellung wurde sein Skelett durch viele fremde Knochen vervollständigt und -gegen alle orthopädischen Gesetze- in Drohgebärde hoch aufgerichtet. Dieses Image wurde ab 1918 in Filmen immer wieder genutzt. Erst 1990 wurde das bisher vollständigste Skelett gefunden und man korrigierte einiges. Eine aktuelle Studie zu seiner Laufgeschwindigkeit sagt: Ab 20 km/h wären seine Fußknochen gebrochen.
Niemand hat die mitgeschleppte Grundannahme bisher in Frage gestellt. Das Bild des grausamen Killers bleibt. Wegen dem Namen. Und weil z.B. der T-Rex in „Jurassic Park“ so überzeugend echt wirkte. Jack Horner sagt: „Wir sind aufgewachsen im Glauben, dass T-Rex ein Jäger ist und es fällt uns schwer das zu revidieren. Die Kinder in der vierten oder sechsten Klasse sind unerbittlich, die werfen mit Gegenständen nach mir. Sie wollen es einfach nicht wahrhaben. Ich bin ja auch damit großgeworden, dass T-Rex ein Räuber ist. Mein kleiner Spielzeug-T-Rex hat immer alle anderen gejagt und aufgefressen.“
Natürlich existierten Dinosaurier; das belegen Knochen, Skelette, Fußspuren und sogar Hautabdrücke. Aber Vorstellungen über die Art, wie sie lebten, sich bewegten, welche Farbe sie hatten, werden von unserer Vorstellungskraft beeinflusst. Darum sind diese Vorstellungen nicht „gesichert“, sondern müssen immer wieder hinterfragt werden.
Vielleicht müssten wir häufiger darüber nachdenken, welche Erkenntnisse uns geprägt haben, und welche tatsächlichen Grundlagen es für diese gibt. Und welche Erkenntnisse uns fremd scheinen, weil sie unsere bisherige Überzeugung verletzen; oder weil die Bilder, an die wir uns gewöhnt haben nicht zerstört werden sollen. Was lassen wir alles an Erkenntnissen nicht zu, weil wir an das glauben wollen, was wir „immer schon“ seit unserer Kindheit kennen?
Oder wagen wir es, nochmal das vorliegende Material so anzusehen, als sähe man es zum ersten Mal – und riskieren neue Erkenntnisse, die uns erst verstören und dann überraschen?
Aber vermutlich ist es doch vergebliche Liebesmühe. Denn am Ende geht es hierbei ja doch nur um eines: Dinosaurier.
Foto: Daniel Cheung/Unsplash