Was-wäre-wenns

Ich sehe sein Strahlen von Weitem. Und dann liegen wir uns in den Armen. Sieben Jahre, vergangen in einem Wimpernschlag.

Ich lernte S. kennen, als ich meinen ersten Ausbildungskurs für Pfadfinder teamte. Er war Teilnehmer von außerhalb und reiste zu früh an. Ich dementsprechend noch im wenig ansprechenden Jogging-Gammel-Outfit. Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich mich auf den ersten Blick verliebt. Und trug dabei eine Jogginghose. Mega-Timing.

Es war eine aufwühlende Woche. Weder unsere Rollen-Konstellation noch unser beider Leben ließen mehr zu als intensive Gespräche. Als der Kurs zu Ende war, heulte ich Rotz und Wasser. Zwei Wochen lang. Dann musste das Leben weitergehen. Wir telefonierten viel im ersten Jahr. Danach wurde es weniger. In manchen Jahren waren es nur wenige Gelegenheiten, bei denen wir noch Nachrichten hin und her schickten. Vor zwei Jahren war er in der Nähe. Ich war hochschwanger und meine Angst siegte. Ich traf ihn nicht, aus lauter Selbstzweifel heraus.

Als vor wenigen Wochen seine Nachricht kam, er würde in der Nähe sein, habe ich laut gelacht. Wieder hochschwanger. Ähnliche Ängste. Sieben Jahre. Eine Zeitlang war er wie meine verwandte Seele. Ich spreche mit dem Mann an meiner Seite. Fahr hin, sagt er, alles ist gut.

Am Ende des Abends könnte man über verpasste Chancen sprechen und Was-wäre-wenns. Das Leben hat uns nie die Möglichkeit eingeräumt, das zu testen – wir führen jetzt andere Leben. Die Zeit, die es hätte geben können, ist Vergangenheit. Aber das ist nicht der Gedanke, der bleibt. Ich finde einen Teil von mir wieder, den ich verloren glaubte. Ein Stück Frieden an einem lauen Frühlingstag.

Beim Abschied versprechen wir uns eines: Nicht nochmal sieben Jahre zu warten. All das, was wir aneinander haben, ist wertvoll. Es lohnt sich, dass etwas davon bleibt.

Als ich zuhause aus dem Auto steige, atme ich tief ein. Es riecht nach dem ersten Sommerregen. Eine Nachtigall zwitschert. Oben im Flur brennt noch ein Licht für mich. Ich lausche ihren Atemzügen. Schön zuhause zu sein, flüstere ich meinen schlafenden Liebsten ins Ohr.

Gottes Wege sind unergründlich heißt es. Vielleicht dauert mancher Weg sieben Jahre. Oder siebzig. Oder irgendwas dazwischen. Aber vielleicht lohnt es sich, ihn zu gehen. Mit all den Fragen, die er an uns stellt.

Ich schaue mich um. Sehe das Zuhause als das, was es ist. Das dabei ist zu wachsen und sich zu verändern. Spüre dem Menschen nach, der bald ein neuer Teil von uns sein wird. Heute Nacht riecht der Frühling nach Sommer. Und die Nachtigall singt vom Leben.

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