Was-wäre-wenns

von Mareile Mevihsen

Was-wäre-wenns

von Mareile Mevihsen

Ich sehe sein Strah­len von Wei­tem. Und dann lie­gen wir uns in den Armen. Sie­ben Jah­re, ver­gan­gen in einem Wim­pern­schlag.

Ich lern­te S. ken­nen, als ich mei­nen ers­ten Aus­bil­dungs­kurs für Pfad­fin­der team­te. Er war Teil­neh­mer von außer­halb und reis­te zu früh an. Ich dem­entspre­chend noch im wenig anspre­chen­den Jog­ging-Gam­mel-Out­fit. Ein ein­zi­ges Mal in mei­nem Leben habe ich mich auf den ers­ten Blick ver­liebt. Und trug dabei eine Jog­ging­ho­se. Mega-Timing.

Es war eine auf­wüh­len­de Woche. Weder unse­re Rol­len-Kon­stel­la­ti­on noch unser bei­der Leben lie­ßen mehr zu als inten­si­ve Gesprä­che. Als der Kurs zu Ende war, heul­te ich Rotz und Was­ser. Zwei Wochen lang. Dann muss­te das Leben wei­ter­ge­hen. Wir tele­fo­nier­ten viel im ers­ten Jahr. Danach wur­de es weni­ger. In man­chen Jah­ren waren es nur weni­ge Gele­gen­hei­ten, bei denen wir noch Nach­rich­ten hin und her schick­ten. Vor zwei Jah­ren war er in der Nähe. Ich war hoch­schwan­ger und mei­ne Angst sieg­te. Ich traf ihn nicht, aus lau­ter Selbst­zwei­fel her­aus.

Als vor weni­gen Wochen sei­ne Nach­richt kam, er wür­de in der Nähe sein, habe ich laut gelacht. Wie­der hoch­schwan­ger. Ähn­li­che Ängs­te. Sie­ben Jah­re. Eine Zeit­lang war er wie mei­ne ver­wand­te See­le. Ich spre­che mit dem Mann an mei­ner Sei­te. Fahr hin, sagt er, alles ist gut.

Am Ende des Abends könn­te man über ver­pass­te Chan­cen spre­chen und Was-wäre-wenns. Das Leben hat uns nie die Mög­lich­keit ein­ge­räumt, das zu tes­ten — wir füh­ren jetzt ande­re Leben. Die Zeit, die es hät­te geben kön­nen, ist Ver­gan­gen­heit. Aber das ist nicht der Gedan­ke, der bleibt. Ich fin­de einen Teil von mir wie­der, den ich ver­lo­ren glaub­te. Ein Stück Frie­den an einem lau­en Früh­lings­tag.

Beim Abschied ver­spre­chen wir uns eines: Nicht noch­mal sie­ben Jah­re zu war­ten. All das, was wir anein­an­der haben, ist wert­voll. Es lohnt sich, dass etwas davon bleibt.

Als ich zuhau­se aus dem Auto stei­ge, atme ich tief ein. Es riecht nach dem ers­ten Som­mer­re­gen. Eine Nach­ti­gall zwit­schert. Oben im Flur brennt noch ein Licht für mich. Ich lau­sche ihren Atem­zü­gen. Schön zuhau­se zu sein, flüs­te­re ich mei­nen schla­fen­den Liebs­ten ins Ohr.

Got­tes Wege sind uner­gründ­lich heißt es. Viel­leicht dau­ert man­cher Weg sie­ben Jah­re. Oder sieb­zig. Oder irgend­was dazwi­schen. Aber viel­leicht lohnt es sich, ihn zu gehen. Mit all den Fra­gen, die er an uns stellt.

Ich schaue mich um. Sehe das Zuhau­se als das, was es ist. Das dabei ist zu wach­sen und sich zu ver­än­dern. Spü­re dem Men­schen nach, der bald ein neu­er Teil von uns sein wird. Heu­te Nacht riecht der Früh­ling nach Som­mer. Und die Nach­ti­gall singt vom Leben.