Kino im Kopf

Paris // Musee d’Orsay

Ich stehe in der Galerie des Museums in Paris und schaue auf die Menschen unten in der Halle herunter. Schüler, die lustlos zwischen den Statuen und Bildern hergehen. Die üblichen Asiaten, die die großen Meisterwerke sammeln, indem sie sie auf den Chip und in die Facebook-Timeline ihres Handy laden. Ältere Menschen, mit einem Klapphocker unter dem Arm, die sich meditierend vor einen Van Gogh oder Monet setzen. Kleine, Große, Dicke, Dünne, alle Nationalitäten, gezwungene und freiwillige Besucher … Und hier oben fühle ich mich ihnen gerade sehr nah. Denn über den Köpfen jedes Menschen sehe ich einen Film ablaufen – ihren Lebensfilm. Ganz plötzlich habe ich das Gefühl, dass diese riesige Museumshalle sich mit der Kraft von einer unglaublichen Zahl an Biografien füllt. Jede mit einem eigenen Soundtrack, jede mit einer Unzahl an Statisten und Regisseuren, jede mit der Bildgewalt eines Epos. Und der Raum ist voll. Ich bin aber nicht erschlagen von dieser Fülle, sondern freue mich daran.

Aachen // St. Elisabeth

Das Gefühl kenne ich sonst nur aus Kirchen, Moscheen oder Synagogen. Besonders ging es mir so in einer der Kirchen, die wir damals beschlossen zu schließen. Der Raum war mir noch nicht richtig ans Herz gewachsen. Aber ab dem Moment, da die Kirche zur Schließung bereit stand, füllte sich der Raum. Denn die Menschen, die hier noch Gottesdienst feierten, erzählten von ihren Erstkommunionfeiern, der Taufe der Kinder, der eigenen Hochzeit, von den unzähligen Kerzen und Gebeten und den Beerdigungen, die hier unter Tränen und mit Lachen gefeiert wurden. Und am Sonntag nach dem Beschluss der Schließung sah ich über diesen Menschen auch Filme ablaufen – ihre Lebensgeschichten, die mit dieser Kirche in Verbindung stehen. Und daneben: frei schwebende Filme. Die Geschichten der Menschen, die nicht mehr unter uns feierten, weil sie tot oder verzogen waren.

Der Moment im Museum war recht kurz. Ich weiß nicht, ob er eine Minute oder nur wenige Sekunden dauerte. Aber der Raum ist jetzt ein anderer, wie auch der Kirchenraum, der jetzt einem anderen Zweck dient. Aber es bleibt dieses Kino im Kopf – von den Geschichten der Menschen, die mir im Bus, auf der Straße oder auch zu Gesprächen begegnen.

Kennt Ihr die Kinomomente im Kopf auch? Erzählt davon – schreibt Sie uns in die Timeline oder als Kommentar. Wir sind gespannt!

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