Alles steht Kopf

von Jonas Zechner

Alles steht Kopf

von Jonas Zechner

Von Ker­n­er­in­ne­run­gen und Per­sön­lich­keits­in­seln

„Alles steht Kopf“ – wie pas­send, dach­te ich und schau­te mir die­ser Tage noch mal den gleich­na­mi­gen Film von 2015 an. Er han­delt vom Gefühls­le­ben der elf­jäh­ri­gen Riley.

Riley muss mit ihren Eltern von Min­ne­so­ta nach San Fran­cis­co umzie­hen. Ihre Emo­tio­nen – Freu­de, Kum­mer, Wut, Angst und Ekel – dis­ku­tie­ren inner­halb der Schalt­zen­tra­le in ihrem Kopf, wie man mit die­ser schwie­ri­gen Situa­ti­on am bes­ten umgeht. Riley muss ver­schie­de­ne Situa­tio­nen meis­tern. In der Schalt­zen­tra­le wird für jede die­ser Situa­tio­nen eine Erin­ne­rungs­ku­gel ver­wahrt. Jede Erin­ne­rungs­ku­gel leuch­tet in der Far­be, die der zugrun­de­lie­gen­den Emo­ti­on ent­spricht. Am Ende des Tages wird der Groß­teil der Erin­ne­rungs­ku­geln in das Lang­zeit­ge­dächt­nis beför­dert.

Fünf beson­ders wich­ti­ge und zen­tra­le Erin­ne­rungs­ku­geln jedoch wer­den dau­er­haft im Kon­troll­raum auf­be­wahrt. Erin­ne­run­gen, die so wich­tig, so schön oder prä­gend waren, dass sie zu so genann­ten Ker­n­er­in­ne­run­gen wer­den. Jede Ker­n­er­in­ne­rung erzeugt eine Erin­ne­rungs­in­sel. Aus die­sen Inseln setzt sich Rileys Per­sön­lich­keit zusam­men: „Fami­lie“, „Ehr­lich­keit“, „Eis­ho­ckey“, „Freund­schaft“ und „Quatsch machen“. Die­se Ker­n­er­in­ne­run­gen sind kon­sti­tu­tiv für Riley und machen sie zu der Per­son, die sie ist.

„Alles steht Kopf“ hat mich auch in die­sen Tagen gut unter­hal­ten (vor allem die Wut – ein­fach groß­ar­tig). Der Film hat mich aber auch zum Nach­den­ken gebracht über mei­ne eige­nen Ker­n­er­in­ne­run­gen und Per­sön­lich­keits­in­seln.

Eine mei­ner liebs­ten und ältes­ten Per­sön­lich­keits­in­seln ist eine gro­ße schwar­ze Pfad­fin­der­jur­te, in der ein Feu­er brennt, über dem gera­de gekocht wird. An die­sem Feu­er sit­zend, hole ich ab und zu eini­ge Ker­n­er­in­ne­rung her­vor. Schö­ne wie trau­ri­ge.

Ich erin­ne­re mich dar­an, wie wir bei mei­nem ers­ten Diö­ze­san­la­ger unter­halb von Schloss Neu­schwan­stein von einem Hagel­schau­er (avo­ca­do­kern­gro­ße Hagel­kör­ner!) über­rascht wur­den und der Boden danach schnee­weiß war. Und wie wir bei unse­rer Lei­tungs­aus­bil­dung ein Last­schiff auf dem Main „kapern“ konn­ten und mit ihm in den Son­nen­un­ter­gang fuh­ren. Ich erin­ne­re mich an die Fei­er des Leiter*innenversprechens von Men­schen, die mei­ne aller­ers­ten Grup­pen­kin­der waren. Nachts, unter stern­kla­rem Him­mel in Kanus auf der Meck­len­bur­gi­schen Seen­plat­te.
An den Sturm, der beim gro­ßen Lei­ter­la­ger 2018 in einer Nacht gleich zwei unse­rer Zel­te zusam­men­stür­zen ließ. Und an das gro­ße Holi Fes­ti­val im Rah­men des letz­ten Diö­ze­san­la­gers.

Mei­ne Per­sön­lich­keits­in­sel „Pfad fin­den“ und ihre (aus­ge­wähl­ten) Ker­n­er­in­ne­run­gen bedeu­ten für mich Gemein­schaft und Spi­ri­tua­li­tät.
Sie geben mir Kraft und Hoff­nung – vor allem, wenn gera­de alles ande­re Kopf steht. Gera­de jetzt kom­men durch den krea­ti­ven Umgang mit der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on bei der Suche nach Lösun­gen und beim Bemü­hen um Soli­da­ri­tät sicher eini­ge neue inten­si­ve Erin­ne­run­gen zu Stan­de.

Viel­leicht ist ja sogar die eine oder ande­re Ker­n­er­in­ne­rung dabei …

Foto: Maxi­mi­li­an Mey­er/Uns­plash