Alles steht Kopf

Von Kernerinnerungen und Persönlichkeitsinseln

„Alles steht Kopf“ – wie passend, dachte ich und schaute mir dieser Tage noch mal den gleichnamigen Film von 2015 an. Er handelt vom Gefühlsleben der elfjährigen Riley.

Riley muss mit ihren Eltern von Minnesota nach San Francisco umziehen. Ihre Emotionen – Freude, Kummer, Wut, Angst und Ekel – diskutieren innerhalb der Schaltzentrale in ihrem Kopf, wie man mit dieser schwierigen Situation am besten umgeht. Riley muss verschiedene Situationen meistern. In der Schaltzentrale wird für jede dieser Situationen eine Erinnerungskugel verwahrt. Jede Erinnerungskugel leuchtet in der Farbe, die der zugrundeliegenden Emotion entspricht. Am Ende des Tages wird der Großteil der Erinnerungskugeln in das Langzeitgedächtnis befördert.

Fünf besonders wichtige und zentrale Erinnerungskugeln jedoch werden dauerhaft im Kontrollraum aufbewahrt. Erinnerungen, die so wichtig, so schön oder prägend waren, dass sie zu so genannten  Kernerinnerungen werden. Jede Kernerinnerung erzeugt eine Erinnerungsinsel. Aus diesen Inseln setzt sich Rileys Persönlichkeit zusammen: „Familie“, „Ehrlichkeit“, „Eishockey“, „Freundschaft“ und „Quatsch machen“. Diese Kernerinnerungen sind konstitutiv für Riley und machen sie zu der Person, die sie ist.

„Alles steht Kopf“ hat mich auch in diesen Tagen gut unterhalten (vor allem die Wut – einfach großartig). Der Film hat mich aber auch zum Nachdenken gebracht über meine eigenen Kernerinnerungen und Persönlichkeitsinseln.

Eine meiner liebsten und ältesten Persönlichkeitsinseln ist eine große schwarze Pfadfinderjurte, in der ein Feuer brennt, über dem gerade gekocht wird. An diesem Feuer sitzend, hole ich ab und zu einige Kernerinnerung hervor. Schöne wie traurige.

Ich erinnere mich daran, wie wir bei meinem ersten Diözesanlager unterhalb von Schloss Neuschwanstein von einem Hagelschauer (avocadokerngroße Hagelkörner!) überrascht wurden und der Boden danach schneeweiß war. Und wie wir bei unserer Leitungsausbildung ein Lastschiff auf dem Main „kapern“ konnten und mit ihm in den Sonnenuntergang fuhren. Ich erinnere mich an die Feier des Leiter*innenversprechens von Menschen, die meine allerersten Gruppenkinder waren. Nachts, unter sternklarem Himmel in Kanus auf der Mecklenburgischen Seenplatte.
An den Sturm, der beim großen Leiterlager 2018 in einer Nacht gleich zwei unserer Zelte zusammenstürzen ließ. Und an das große Holi Festival im Rahmen des letzten Diözesanlagers.

Meine Persönlichkeitsinsel „Pfad finden“ und ihre (ausgewählten) Kernerinnerungen bedeuten für mich Gemeinschaft und Spiritualität.
Sie geben mir Kraft und Hoffnung – vor allem, wenn gerade alles andere Kopf steht. Gerade jetzt kommen durch den kreativen Umgang mit der gegenwärtigen Situation bei der Suche nach Lösungen und beim Bemühen um Solidarität sicher einige neue intensive Erinnerungen zu Stande.

Vielleicht ist ja sogar die eine oder andere Kernerinnerung dabei …

Foto: Maximilian Meyer/Unsplash

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