Die Geschichte von N.

„Ich bin schwanger“, sagt sie und ich verschlucke mich fast an meinem Essen. „Ich schaff das nicht nochmal“, denke ich sofort. Aber ich muss. Wenn sie es schafft, dann schaffe ich das auch. Ich muss. Eine andere Option gibt es nicht.

Fast zwei Jahre ist es her, da stand ich auf dem Friedhof und habe die Kinder meiner Freundin begraben. Neben ihrem ersten totgeborenen Kind, lagen dann zwei weitere. N. und ihr Mann hatten mit allen Mitteln gekämpft um die Zwillinge. Über Wochen waren wir alle im Ausnahmezustand. Am Ende: Umsonst.

Die Geschichte von N., dem mutigsten Menschen, den ich kenne, beschäftigt mich, solange es Raumrauschen gibt (Sternenkind, Am Ende der Worte). Heute erzähle ich sie zu Ende.

Als sie wieder schwanger wird, ungeplant, unverhofft, ein medizinisches Wunder, nur wenige Wochen nach der Beerdigung der Zwillinge, beginnt das Bangen von vorne. Wochenweise. Ich zucke zusammen jedes Mal, wenn sie anruft. Die Angst ist ständiger Begleiter, zu hoffen wagt kaum einer. Kurz nach Weihnachten sind die Wochen vorbei, in denen sie die vorherigen Kinder verloren hat. „Und jetzt?“, fragt sie. „Ich hatte keinen Plan, es gab immer nur den Tag X. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll“.  „Jetzt“, sage ich leise, „jetzt bekommst du ein Baby.“

Jonah wird geboren ein Jahr und vier Tage nach der Geburt seiner Brüder. Seine Augen tragen die Ruhe seines Vaters in sich. Wenn er lächelt; sieht er aus wie seine Mutter.

Ich erinnere mich noch gut, wie wir da saßen, an einem Frühlingstag im Mai, nach der Beerdigung im Jahr davor. Familie, Freunde und Bekannte von N. und A.. Manche von uns waren sich fremd. Aber an diesem Tag waren wir eins. Und ich weiß noch, wie jemand den Sekt aufmachte um 16:00 uHR und sagte, das sollten wir öfter tun an einem Donnerstagnachmittag, an dem die Zeit stillsteht: Auf den Tod trinken. Und auf das Leben. Und alles dazwischen. Weil in dieser tiefsten unendlichen Traurigkeit wir einander hatten, das einzige was hielt.

Heute wird Jonah ein Jahr alt. Der Junge mit den mutigsten Eltern der Welt.

Und wäre das hier ein Märchen dann würde ich enden mit „…und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“. Das ist es leider nicht. Aber das ist, was ich ihnen von Herzen wünsche. Happy Birthday, Jonah.

Foto: David Nieto/Unsplash

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