Ster­nen­kind

von Mareile Mevihsen

Ster­nen­kind

von Mareile Mevihsen

Manch­mal spürt man das, wenn Unheil sich ankün­digt. Win­zi­ge Nuan­cen einer Ahnung, die einen nicht mehr los las­sen. So war es auch, als eine lie­be Freun­din mir vor weni­gen Wochen sag­te, dass sie jetzt vor­erst lie­gen müs­se, weil es um ihre Schwan­ger­schaft nicht so gut bestellt wäre. Als ges­tern ihre SMS kam, wir soll­ten vor unse­rem nächs­ten Tref­fen noch­mal tele­fo­nie­ren, wur­de die Ahnung Gewiss­heit.

Sie ist ein Mensch, den ich auf Anhieb ins Herz geschlos­sen habe, als wir uns vor weni­gen Jah­ren ken­nen­lern­ten. Aber das Leben macht es ihr nicht leicht. Wäh­rend die gan­ze Welt um sie her­um schwan­ger wur­de, schien es bei ihr ein­fach nicht mög­lich. Und dann hat’s doch geklappt. Und die kri­ti­schen Wochen ver­gin­gen und alles war gut.

Bis vor weni­gen Tagen, als die Hälf­te geschafft war. Als es noch vier Wochen waren bis zu dem Punkt, an dem man gewusst hät­te, jetzt hat die­ses Kind eine Über­le­bens­chan­ce.

Sie ist jetzt im Kran­ken­haus und muss dar­auf war­ten, dass ihr Kind, das bereits unter­ver­sorgt ist im Mut­ter­leib, end­lich stirbt. Aber das Kind stirbt nicht. Sie war­tet dar­auf, dass Wehen ein­set­zen und sie eine schmerz­haf­te Geburt erlebt, an deren Ende nicht das Leben steht, son­dern der Tod. Sie war­tet dar­auf, dass da zwar ganz viel­leicht noch ein Hauch Leben im ihrem Baby ist, wenn es gebo­ren wird, aber es mit ziem­li­cher Sicher­heit nicht lebens­fä­hig sein wird. Sie sagt, ihr Mann wol­le das Kind nicht sehen, wenn es gebo­ren ist, weil er das nicht kann. Sie sel­ber weiß noch nicht, was sie tun wird. Eigent­lich will sie nur nach Hau­se.

Jede drit­te Frau ver­liert ihr Baby wäh­rend der Schwan­ger­schaft. Die meis­ten in den ers­ten Wochen, man­che, so wie sie, nach etli­chen Wochen mit dem klei­nen Lebe­we­sen in ihrem Bauch.

Was alle gemein­sam haben ist, dass es dir das Herz zer­reißt, wenn du das Baby ver­lierst. Dass du dei­nen Kör­per hasst, weil er dir das antut und gegen dich arbei­tet. Dass du dich fragst, immer wie­der, ob du Schuld bist dar­an, ob du mehr auf dich hät­test ach­ten müs­sen. Dass es ein Teil von dir ist, der für immer ver­lo­ren ist und der dich trotz­dem dein gan­zes Leben beglei­ten wird. Und dass du die­se Trau­er mit nie­man­dem tei­len kannst, manch­mal viel­leicht nicht ein­mal mit dei­nem Mann.

Wir waren ver­ab­re­det in ein paar Tagen. Alles was sie sagt ist “Ich kann ver­ste­hen wenn du mich nicht sehen willst, wenn dir das zu viel ist”. Mir liegt schon vor­her ein Stein auf der See­le, jetzt lau­fen mei­ne Trä­nen. Ich bin näm­lich die, die auch schwan­ger ist, aber längst über die meis­ten kri­ti­schen Punk­te hin­weg. In weni­gen Wochen wer­de ich ver­mut­lich mein Kind in den Armen hal­ten. Ich soll­te die sein, die fragt, ob das okay ist, wenn wir uns sehen. Denn mein Kind wird leben. Ihres stirbt.

Nach­trag, acht Tage spä­ter: Heu­te mor­gen ist ihr Baby gebo­ren , sie schreibt, ihr Sohn sei jetzt im Him­mel. Ich kann heut an kei­nen Him­mel glau­ben. Aber am Abend wer­de ich eine Ker­ze anzün­den. Das, was wir Chris­ten tun, wenn uns die Hoff­nung ver­lässt und die Nacht dun­kel ist. Ster­nen­kin­der, so nennt man Babys, die das Licht des Lebens nie erbli­cken. Seit heu­te ist es ein Stern mehr.