Aufgeschoben, aufgehoben?

„Lass uns das auf’s nächste Jahr verschieben“, bekam ich teilweise schon Mitte November von Kolleg*innen an den verschiedensten Stellen zu hören, „es ist ja schon bald Advent und auch schon fast Neujahr, da macht es einfach keinen Sinn mehr, was Neues  anzufangen“. Auch ich selbst erwische mich dabei, wie ich beispielsweise in einer E-Mail an einen Kollegen schrieb: „Wäre es denn in Ordnung für dich, wenn ich im neuen Jahr das Thema nochmal aufgreife?“ – Das war Ende November.

Doch nicht nur bei meiner Arbeit gibt es solche Anfälle von „Aufschieberitis“, also die Angewohnheit, etwas auf einen späteren, vermeidlich „günstigeren“ Zeitpunkt zu verlegen. Zum Beispiel, was die Planungen für eine neue Wohnungseinrichtung anbelangt, oder wenn ich ein Buch geschenkt bekomme und mir denke: „Damit fange ich Anfang nächster Woche an.“ Meistens gehe ich die Sache dann erst sehr viel später an – wenn überhaupt.

Selbstverständlich kann das Verschieben von neuen Dingen zu einem anderen Zeitpunkt sinnvoll sein – zum Beispiel, um sich und andere nicht zu überfordern oder um das Tagesgeschäft nicht zu gefährden. Doch meistens – zumindest geht es mir so – geschieht dies viel mehr aus Bequemlichkeit heraus. So werden Ideen viel zu früh nicht weitergedacht, neue Wege nicht ausprobiert und am Ende kann es sogar sein, dass alles – auch das Nervige – beim Alten bleibt.

Ein kleiner Vergleich: In der Bibel steht das Wort „später“ 71 mal, während sich das Wort „jetzt“ ganze 610 mal finden lässt. Auch wenn das keine exegetische Deutung der Bibel darstellt, so ist allein von der Worthäufigkeit her deutlich, worauf der Schwerpunkt in den Texten liegt, die wir zum Beispiel in Gottesdiensten hören oder selbst lesen.

Und wie ist das jetzt?

Das neue Jahr hat begonnen – der alljährliche Höhepunkt des Aufschiebens ist erreicht. Ab jetzt kommen wieder die Monats-, Wochen- und Tagesausreden für Neues dazu. Jetzt können wir wieder sagen: „Das mache ich später“. Oder etwa doch nicht?

Im Gotteslob findet sich dazu ein Lied: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde“ (Nr. 742), und Alois Albrecht schrieb in der 7. Strophe dieses Liedes passend zum neuen Jahr: „Der Herr wird nicht fragen: / Was hast du gesagt, / was hast du alles versprochen? / Seine Frage wird lauten: / Was hast du getan, wen hast du geliebt / um meinetwillen?“ Auch wenn das Lied als Adventslied verzeichnet ist, so kann es auch zum Jahresbeginn aus der Bequemlichkeit helfen, jetzt etwas zu tun, das aufgeschoben worden ist aber gemacht werden sollte, etwas Neues eben.

Rafał Londo

Foto: Sharon Mccutcheon

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