Zwangs­pau­sen

von Tanja Hannappel

Zwangs­pau­sen

von Tanja Hannappel

Nach­dem mein Schul­jahr schon äußerst holp­rig und eini­ge Wochen ver­spä­tet durch einen Arm­bruch am letz­ten Som­mer­fe­ri­en­wo­chen­en­de begann, steht gera­de durch die coro­nabe­ding­ten Schul­schlie­ßun­gen die nächs­te Zwangs­pau­se – zumin­dest in der regu­lä­ren prak­ti­schen Arbeit in der Schu­le – an, was sich so schnell wohl auch nicht wie­der völ­lig regu­lie­ren wird.

Zuge­ge­ben: Ein paar posi­ti­ve Sei­ten kann ich einer sol­chen Pau­se, die nach viel Kor­rek­tur- und Vor­be­rei­tungs­ar­beit beson­ders in den Oster­fe­ri­en ein­setz­te, durch­aus abge­win­nen: Auch mal am Vor­mit­tag eine Run­de durch den Park lau­fen, ein paar noch unbe­kann­te Köl­ner Ecken mit dem Fahr­rad erkun­den, einen ech­ten Früh­jahrs­putz hin­le­gen, irgend­wie ein­mal tat­säch­lich ent­schleu­ni­gen (wie man es sonst nur in mit­tel­klas­si­gen Rat­ge­bern liest), immer mal ein paar Zei­len schrei­ben, Zeit ein­mal ganz für mich haben – abseits von jedem beruf­li­chen oder Frei­zeit­stress, von dem ich mich doch all­zu ger­ne ein­mal ein­neh­men las­se …

Doch neben die­sen posi­ti­ven Sei­ten, aus denen ich ver­su­che, das ein oder ande­re auch in die „Nach-Coro­na-Zeit“ zu über­füh­ren, haben bei­de Zwangs­pau­sen mir vor allem eine Erkennt­nis gebracht, die im All­tag mit Kor­rek­tu­ren, durch­aus auch anstren­gen­den Schü­ler- und Eltern­ge­sprä­chen und den Kämp­fen mit Büro­kra­tie oder stein­zeit­li­chem Equip­ment manch­mal in Ver­ges­sen­heit zu gera­ten droht, näm­lich, dass ich wirk­lich ger­ne Leh­re­rin bin; und das nicht am Schreib­tisch zuhau­se, son­dern ganz kon­kret vor Ort. Dass ich mei­nen wuse­li­gen All­tag irgend­wie ver­mis­se: die „Tür-und-Angel-Gesprä­che“ mit lie­ben Kol­le­gen, den net­ten Plausch im Sekre­ta­ri­at, das Vor-der-Klas­se-Ste­hen, aber ganz beson­ders den Kon­takt zu mei­nen Schü­le­rin­nen und Schü­lern: das Hören mei­nes – von einem Fünft­kläss­ler über den Schul­hof gebrüll­ten – Namens, frei­wil­lig und unfrei­wil­lig lus­ti­ge Momen­te in mei­nem Unter­richt, ein Blick, in dem nach lan­gem Hadern über ein The­ma ein Aha-Moment liegt, ein net­ter Gruß oder eine klei­ne Geschich­te, die ich im Raus­ge­hen aus dem Klas­sen­raum erzählt bekom­me, die Schü­le­rin oder der Schü­ler, der sich mir in einem Bera­tungs­ge­spräch mit sei­nem ganz per­sön­li­chen Pro­blem anver­traut und viel­leicht schon dadurch ein Stück weit wei­ter­kommt.

Vor kur­zem reg­te mich ein lie­ber Freund zu der Über­le­gung an, inwie­fern ich mein beruf­li­ches Tun als sinn­voll erach­te. Und viel­leicht war mir vor­her noch nie so bewusst wie jetzt, dass ich mei­ne Arbeit tat­säch­lich als per­sön­lich gewinn­brin­gend, aber tat­säch­lich auch als sinn­voll erach­te. Und das gar nicht hero­isch oder spek­ta­ku­lär gedacht, son­dern oft ver­deckt von den klei­nen per­sön­li­chen Kämp­fen des All­tags im ganz Klei­nen, dann, wenn ich es gar nicht erwar­te, in all den beschrie­be­nen Begeg­nun­gen und mehr. Das ist schön.

In der letz­ten Stun­de ihrer Schul­lauf­bahn las­se ich mei­ne ange­hen­den Abitu­ri­en­ten (in die­sem Jahr als Auf­ga­be zuhau­se) einen Brief an sich selbst in zehn Jah­ren schrei­ben, in wel­chem sie z.B. ihre aktu­el­le Situa­ti­on, ihren jet­zi­gen Blick auf die Din­ge, ihre Wün­sche für sich in der Zukunft oder auch Tipps für ihr Ich in zehn Jah­ren for­mu­lie­ren kön­nen. Ich neh­me die­se Brie­fe mit, in der Hoff­nung, sie ihnen in zehn Jah­ren wie­der­ge­ben zu kön­nen. Irgend­wie hof­fe und freue ich mich jetzt schon auf amü­sier­te, über­rasch­te viel­leicht auch nach­denk­li­che Gesich­ter im Jahr 2030. Die­ses Jahr will ich auch wie­der einen Brief an mich in zehn Jah­ren schrei­ben, in dem ich neben der beson­de­ren Situa­ti­on vor allem davon erzäh­len will, war­um ich so ger­ne Leh­re­rin bin. Ich hof­fe, dass ich die­sen dann eben­falls auch etwas amü­siert, aber nicht zu über­rascht lesen wer­de. Und ich hof­fe, dass ich dann immer noch genau die­se Din­ge (oder auch noch ganz ande­re) an mei­nem Beruf zu schät­zen weiß oder mich ansons­ten durch die­sen Brief selbst dar­an erin­nern kann.

Foto: Shub­ham Sha­ran/Uns­plash