Zwangspausen

Nachdem mein Schuljahr schon äußerst holprig und einige Wochen verspätet durch einen Armbruch am letzten Sommerferienwochenende begann, steht gerade durch die coronabedingten Schulschließungen die nächste Zwangspause – zumindest in der regulären praktischen Arbeit in der Schule – an, was sich so schnell wohl auch nicht wieder völlig regulieren wird.

Zugegeben: Ein paar positive Seiten kann ich einer solchen Pause, die nach viel Korrektur- und Vorbereitungsarbeit besonders in den Osterferien einsetzte, durchaus abgewinnen: Auch mal am Vormittag eine Runde durch den Park laufen, ein paar noch unbekannte Kölner Ecken mit dem Fahrrad erkunden, einen echten Frühjahrsputz hinlegen, irgendwie einmal tatsächlich entschleunigen (wie man es sonst nur in mittelklassigen Ratgebern liest), immer mal ein paar Zeilen schreiben, Zeit einmal ganz für mich haben – abseits von jedem beruflichen oder Freizeitstress, von dem ich mich doch allzu gerne einmal einnehmen lasse …

Doch neben diesen positiven Seiten, aus denen ich versuche, das ein oder andere auch in die „Nach-Corona-Zeit“ zu überführen, haben beide Zwangspausen mir vor allem eine Erkenntnis gebracht, die im Alltag mit Korrekturen, durchaus auch anstrengenden Schüler- und Elterngesprächen und den Kämpfen mit Bürokratie oder steinzeitlichem Equipment manchmal in Vergessenheit zu geraten droht, nämlich, dass ich wirklich gerne Lehrerin bin; und das nicht am Schreibtisch zuhause, sondern ganz konkret vor Ort. Dass ich meinen wuseligen Alltag irgendwie vermisse: die „Tür-und-Angel-Gespräche“ mit lieben Kollegen, den netten Plausch im Sekretariat, das Vor-der-Klasse-Stehen, aber ganz besonders den Kontakt zu meinen Schülerinnen und Schülern: das Hören meines – von einem Fünftklässler über den Schulhof gebrüllten – Namens, freiwillig und unfreiwillig lustige Momente in meinem Unterricht, ein Blick, in dem nach langem Hadern über ein Thema ein Aha-Moment liegt,  ein netter Gruß oder eine kleine Geschichte, die ich im Rausgehen aus dem Klassenraum erzählt bekomme, die Schülerin oder der Schüler, der sich mir in einem Beratungsgespräch mit seinem ganz persönlichen Problem anvertraut und vielleicht schon dadurch ein Stück weit weiterkommt.

Vor kurzem regte mich ein lieber Freund zu der Überlegung an, inwiefern ich mein berufliches Tun als sinnvoll erachte. Und vielleicht war mir vorher noch nie so bewusst wie jetzt, dass ich meine Arbeit tatsächlich als persönlich gewinnbringend, aber tatsächlich auch als sinnvoll erachte. Und das gar nicht heroisch oder spektakulär gedacht, sondern oft verdeckt von den kleinen persönlichen Kämpfen des Alltags im ganz Kleinen, dann, wenn ich es gar nicht erwarte, in all den beschriebenen Begegnungen und mehr. Das ist schön.

In der letzten Stunde ihrer Schullaufbahn lasse ich meine angehenden Abiturienten (in diesem Jahr als Aufgabe zuhause) einen Brief an sich selbst in zehn Jahren schreiben, in welchem sie z.B. ihre aktuelle Situation, ihren jetzigen Blick auf die Dinge, ihre Wünsche für sich in der Zukunft oder auch Tipps für ihr Ich in zehn Jahren formulieren können. Ich nehme diese Briefe mit, in der Hoffnung, sie ihnen in zehn Jahren wiedergeben zu können. Irgendwie hoffe und freue ich mich jetzt schon auf amüsierte, überraschte vielleicht auch nachdenkliche Gesichter im Jahr 2030. Dieses Jahr will ich auch wieder einen Brief an mich in zehn Jahren schreiben, in dem ich neben der besonderen Situation vor allem davon erzählen will, warum ich so gerne Lehrerin bin. Ich hoffe, dass ich diesen dann ebenfalls auch etwas amüsiert, aber nicht zu überrascht lesen werde. Und ich hoffe, dass ich dann immer noch genau diese Dinge (oder auch noch ganz andere) an meinem Beruf zu schätzen weiß oder mich ansonsten durch diesen Brief selbst daran erinnern kann.

Foto: Shubham Sharan/Unsplash 

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