Wie man in den Wald hineinrauscht, rauscht es auch zurück

Ich war erst vor kurzem krankgeschrieben und darum längere Zeit durchgehend zu Hause. Die Rückkehr in diesen Zustand nach nur zwei Wochen „Freiheit“ war nicht geplant. Es stört mich, schließt mich ein. Ich reagiere eher mit dicker Haut – aus Ironie, Faktensammeln und Abarbeiten von Aufgelaufenem. Aber es sind eher Reflexe. Und wenn ich mich zu lange einschließe, wird die Haut taub. Wo bleib „ich“ dabei?

Damit bin ich nicht allein. Es gibt kein körperliches Zusammentreffen in größeren Gruppen mehr, keine Großkonzerte – keine Raumerfahrungen.

Aber Dienstag schaltete ich den Livestream eines Homeoffice-Konzerts ein, weil mich ein Kollege eingeladen hatte. Es dauerte nur ein paar Töne und in mir wurde es weich, dünnhäutig und glücklich. Es liest sich banal – aber mich berührte sofort das: Da sangen zwei. Für andere.

Und dann geschah etwas Besonderes: Das Lied war zu Ende. Und es war einen kurzen Moment still. Weil da keine Zuschauer im Raum waren.

Manfred Lütz hat mal vorgeschlagen bei Konzerten innerhalb von Gottesdiensten nicht zu klatschen, die Stille wahrzunehmen und auszuhalten, – weil die Musik ja nicht in erster Linie für die anwesenden Menschen singt, sondern zur „höheren Ehre Gottes“, für ein höheres Ziel.

Aber: Bei dem Konzert war das noch etwas anders. Da war die Stille unvermeidbar. Und wollte sichtlich gefüllt werden. Denn die Anzeige oben links zeigte über 300 Zuschauer. Die Kommentarspalte floss gleichmäßig durch. Die Sängerin hatte Geburtstag und erhielt Glückwünsche, einige freuten sich, wenn ihr Lieblingslied gesungen wurde, andere schrieben, dass sie zu Hause mitsingen – und immer wieder die Rückmeldung, wie gut es tat zuzuhören, weil sonst so vieles abgesagt war.

Erst später merkte ich: Es fehlte etwas völlig: Selbstdarstellung. Während ich bei Twitter und Facebook schon von mir selber die Versuchung kenne, besonders pointiert, bissig, ironisch formulieren zu wollen, um gesehen zu werden, war das hier anscheinend nicht nötig.

Wenn wirklich jeder Mensch mit dem unsäglichen Hunger nach Resonanz geboren wird, dann wurde die hier anders gefüllt, anders erfüllt. Es musste keiner schreien „Ich bin auch noch da“, weil sich jeder bereits in etwas wiederfand. In der Musik, in den Texten und obwohl jeder bei sich zu Hause saß, formte sich eine Gemeinschaft von Zuhörern. Und auf über 300 Bildschirmen saßen zwei und sangen sich selbst die Seele aus dem Leib und sie damit uns Zuhörenden ins Herz. Und das taten sie, ohne einen einzigen zu sehen. Das braucht Nerven; das erzählt von Vertrauen, Hoffnung und Überzeugung.

Es gibt die Frage, ob ein Baum, der umfällt ein Geräusch macht, wenn gar keiner zuhört. Bei dem Konzert war auch das anders.

Wir waren ein Wald und haben zurückgerauscht. Dieselbe Liebe, die in den Wald hineingesungen, hineingespielt wurde.

Foto: Sebastian Unrau/Unsplash

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