Von Elefanten

Seit ich mich vor fast zwei Jahren bei einer Safari in Namibia in einem offenen Jeep auf einmal umringt von einer ganzen Elefantenfamilie wiedergefunden habe, die – uns kaum beachtend – rechts und links an uns vorbeizog, habe ich ein Lieblingstier. Natürlich hatte ich vorher schon Elefanten im Zoo gesehen, aber diese Tiere in freier Natur so hautnah, fast greifbar zu erleben, war ein ganz besonderer Moment, den ich wahrscheinlich nicht mehr vergessen werde. Besonders beeindruckend war ihre unglaubliche Ruhe und Gelassenheit – fast schon Ignoranz uns gegenüber – und das bei ihrer unfassbaren Größe und Kraft.

Vor kurzem habe ich eine kleine Geschichte* entdeckt, die meine Aufmerksamkeit zunächst einmal dadurch erregte, dass darin ein Elefant eine Rolle spielt. Es geht darin um die Frage, warum ein an einen kleinen Pflock angeketteter Elefant sich nicht losreißt und befreit; stark genug wäre er ja ohne Probleme. Das weiß man erst recht, wenn man diese Tiere einmal in der Natur hat agieren sehen. Schließlich findet der Autor der Geschichte folgende Antwort: Der Elefant wurde schon als kleiner Elefant an diesen Pflock angebunden. Damals war er wirklich nicht stark genug, um sich zu befreien. Der Pflock hat ihm das deutlich gezeigt, so deutlich, dass er irgendwann aufgehört hat, es zu versuchen. Als er erwachsen, groß und stark geworden ist, hat er die Überzeugung, sich nicht befreien zu können, so verinnerlicht, dass er sich dieser Freiheitsbeschränkung beugt und sie nie mehr wieder in Frage stellt.

Gerade mit meinem Bild der freilebenden Elefanten im Kopf hat mir die Geschichte, so traurig sie ist, doch gefallen. Einen solchen Pflock, der uns ankettet, haben wir vielleicht alle: gelernte Überzeugungen, dass wir etwas nicht können, einfach nicht hinbekommen, zu klein oder zu schwach sind. Und vielleicht haben wir diese Dinge wirklich einmal nicht hinbekommen, waren tatsächlich noch zu klein dafür. Vielleicht war diese Erfahrung eine schmerzhafte, vielleicht hatten wir auch das Gefühl, dass unser Umfeld uns genau dies bestätigt: Du kannst das einfach nicht! Aber vielleicht hätten wir einfach ein bisschen mehr Zeit gebraucht, vielleicht ein bisschen mehr Zutrauen in uns, vielleicht den mutmachenden Zuspruch, es auch nach dem zehnten Mal noch einmal zu versuchen oder die Geduld und Einsicht, dass es einfach noch nicht der richtige Zeitpunkt ist. Aber eingeprägt hat sich doch die so feste Überzeugung, es einfach nicht zu können und es am besten auch gar nicht mehr zu versuchen.

So traurig diese Geschichte wie die mit ihr verbundene Einsicht auch ist, macht sie also irgendwie auch Mut: Mut, die eigene Stärke wahrzunehmen, festgesetzte Überzeugungen immer wieder in den Blick zu nehmen, „Ketten“ manchmal vielleicht wie selbstverständlich zu lösen, sich von Auffassungen zu befreien, die einen einschränken…

Wenn ich an „meine“ namibianischen Elefanten denke, erscheint das so selbstverständlich und leicht wie es für den angeketteten Elefanten unmöglich erscheint.

*Aus: Jorge Bucay: Komm, ich erzähl dir eine Geschichte. Fischer 2012.

Foto: Tanja Hannappel

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