Viersein

Ich habe sehr unterschiedliche Freunde und damit auch Freundschaften. Ich mag diese Vielfalt. Ich mag die unterschiedlichen Themen, Gespräche, Anregungen, die von diesen mir lieb gewordenen Menschen ausgehen, die verschiedenen Situationen, in denen wir jeweils zusammenkommen und sich unterscheidenden Herausforderungen, die sich in den Begegnungen ergeben.

In den letzten Tagen hatte ich eine besondere Zeit mit ganz besonderen Freunden: Zu viert unterwegs, vier Städte, vier Mal besondere Ausschnitte aus der jeweiligen Stadt gezeigt bekommen. Eine Zeit, die mich zu der Frage angeregt hat, was für mich Freundschaft ausmacht, was ich für echte Freundschaft halte, was mir in einer Freundschaft wertvoll ist.

Die Freunde, mit denen ich so tolle und intensive vier Tage in vier verschiedenen Städten erlebt habe, sind keine Freunde, die ich täglich sehe oder mit denen ich wöchentlich telefoniere. Wir kennen uns aus unserem gemeinsamen Studium und während viele Bekanntschaften und auch Freundschaften aus dieser Zeit sich in den letzten acht Jahren seit Ende meines Studiums verloren haben, sind diese geblieben. Auch wenn wir in vier verschiedenen Städten leben, uns – wie gesagt – nicht täglich oder auch nur wöchentlich austauschen, ist unsere Freundschaft keine Karteileiche im großen Aktenschrank der mehr oder weniger aktiven Freundschaften, sondern hat für mich eine besondere Bedeutung und Tiefe. Also wage ich einfach mal, ein bisschen genauer hinzuschauen:

Nicht nur durch unser gemeinsames Theologiestudium haben wir ähnliche Werte und Interessen, wobei sich diese in durchaus unterschiedlichen Ausrichtungen, Vorstellungen, Herangehensweisen und Ausprägungen zeigen; vielleicht kann man es vergleichen mit der Unterschiedlichkeit jeder Stadt und vor allem jedes Ausschnitts, den jede(r) von uns ausgesucht hat, um sie uns Anderen zu zeigen und näherzubringen.

Doch was macht unser Zusammensein außerdem aus? Ich glaube, ganz zentral für mich ist, dass ich mich in ihrer Umgebung traue, ganz ehrlich und echt von mir zu erzählen. Und ich habe Gegenüber vor mir, die ernsthaft an mir interessiert sind, nicht nur zuhören, sondern auch ihre Gedanken zu meinen beisteuern und ganz viel von sich geben – in Rückfragen, in durchaus auch kritischen Anfragen, in Empathie und manchmal auch einem Sich-Selbst-Wiedererkennen. Diese Gespräche liefern mir Momente, in denen ich mich selbst auf einmal noch besser erkenne und hinterfrage.

Gegenseitig bieten wir uns Impulse von der App-Empfehlung über aktuelle Youtube-Videos und Kochempfehlungen bis hin zu anspruchsvollen Diskursen, die uns nachdenken, lachen und manchmal still werden lassen – manchmal sogar mehreres davon auf einmal. Wir schwelgen durchaus schon mal in nostalgischen Erinnerungen, aber ohne uns darin zu verlieren und sind – ob beim Quatschen im Auto oder auf dem Mäuerchen mit einem Glas Wein in der Hand – miteinander ganz im Hier und Jetzt. Wir entdecken Dinge für- und miteinander und machen uns auf Dinge aufmerksam, die dem oder der einen oder anderen vielleicht entgangen wären und die wir als Bild, Erinnerung oder auch als rosa Kamevalshut mit nach Hause nehmen. Wir haben unterschiedliche Schrittgeschwindigkeiten und kommen am Ende doch immer wieder zusammen irgendwo an. Ich glaube, wir fordern uns auf unterschiedlichen Ebenen immer wieder gegenseitig heraus, intellektuell, vielleicht auch emotional oder einfach in unserer Unterschiedlichkeit.

Wir umarmen uns nach einer Woche, einem halben Jahr oder sogar fast sechs Jahren das erste Mal wieder und sind uns ab genau diesem Moment wieder ganz nah oder näher als je zuvor.

Nicht jede meiner Freundschaften würde ich genauso beschreiben. Und das finde ich auch gar nicht schlimm. Ich sehe es – ganz im Gegenteil – eher als Gewinn zu wissen, dass meine Freunde keine Schablonen, nicht einfach austauschbar oder alle gleich sind. Aber ich bin unfassbar dankbar, Freunde zu haben, die ich letztlich doch genauso beschreiben kann, und dass ich die Möglichkeit habe, Zeit mit ihnen zu verbringen und so wertvolle Momente – nicht nur aus diesen vier gemeinsamen Tagen – mitnehmen zu dürfen. Wahrscheinlich ist das oben beschriebene nicht die einzige Definition einer echten Freundschaft für mich, aber dennoch eine, die für mich eine ganz besondere Bedeutung hat.

Foto: ian dooley/Unsplash

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