Vier­sein

von Tanja Hannappel

Vier­sein

von Tanja Hannappel

Ich habe sehr unter­schied­li­che Freun­de und damit auch Freund­schaf­ten. Ich mag die­se Viel­falt. Ich mag die unter­schied­li­chen The­men, Gesprä­che, Anre­gun­gen, die von die­sen mir lieb gewor­de­nen Men­schen aus­ge­hen, die ver­schie­de­nen Situa­tio­nen, in denen wir jeweils zusam­men­kom­men und sich unter­schei­den­den Her­aus­for­de­run­gen, die sich in den Begeg­nun­gen erge­ben.

In den letz­ten Tagen hat­te ich eine beson­de­re Zeit mit ganz beson­de­ren Freun­den: Zu viert unter­wegs, vier Städ­te, vier Mal beson­de­re Aus­schnit­te aus der jewei­li­gen Stadt gezeigt bekom­men. Eine Zeit, die mich zu der Fra­ge ange­regt hat, was für mich Freund­schaft aus­macht, was ich für ech­te Freund­schaft hal­te, was mir in einer Freund­schaft wert­voll ist.

Die Freun­de, mit denen ich so tol­le und inten­si­ve vier Tage in vier ver­schie­de­nen Städ­ten erlebt habe, sind kei­ne Freun­de, die ich täg­lich sehe oder mit denen ich wöchent­lich tele­fo­nie­re. Wir ken­nen uns aus unse­rem gemein­sa­men Stu­di­um und wäh­rend vie­le Bekannt­schaf­ten und auch Freund­schaf­ten aus die­ser Zeit sich in den letz­ten acht Jah­ren seit Ende mei­nes Stu­di­ums ver­lo­ren haben, sind die­se geblie­ben. Auch wenn wir in vier ver­schie­de­nen Städ­ten leben, uns — wie gesagt — nicht täg­lich oder auch nur wöchent­lich aus­tau­schen, ist unse­re Freund­schaft kei­ne Kar­tei­lei­che im gro­ßen Akten­schrank der mehr oder weni­ger akti­ven Freund­schaf­ten, son­dern hat für mich eine beson­de­re Bedeu­tung und Tie­fe. Also wage ich ein­fach mal, ein biss­chen genau­er hin­zu­schau­en:

Nicht nur durch unser gemein­sa­mes Theo­lo­gie­stu­di­um haben wir ähn­li­che Wer­te und Inter­es­sen, wobei sich die­se in durch­aus unter­schied­li­chen Aus­rich­tun­gen, Vor­stel­lun­gen, Her­an­ge­hens­wei­sen und Aus­prä­gun­gen zei­gen; viel­leicht kann man es ver­glei­chen mit der Unter­schied­lich­keit jeder Stadt und vor allem jedes Aus­schnitts, den jede® von uns aus­ge­sucht hat, um sie uns Ande­ren zu zei­gen und näher­zu­brin­gen.

Doch was macht unser Zusam­men­sein außer­dem aus? Ich glau­be, ganz zen­tral für mich ist, dass ich mich in ihrer Umge­bung traue, ganz ehr­lich und echt von mir zu erzäh­len. Und ich habe Gegen­über vor mir, die ernst­haft an mir inter­es­siert sind, nicht nur zuhö­ren, son­dern auch ihre Gedan­ken zu mei­nen bei­steu­ern und ganz viel von sich geben — in Rück­fra­gen, in durch­aus auch kri­ti­schen Anfra­gen, in Empa­thie und manch­mal auch einem Sich-Selbst-Wie­der­erken­nen. Die­se Gesprä­che lie­fern mir Momen­te, in denen ich mich selbst auf ein­mal noch bes­ser erken­ne und hin­ter­fra­ge.

Gegen­sei­tig bie­ten wir uns Impul­se von der App-Emp­feh­lung über aktu­el­le You­tube-Vide­os und Koch­emp­feh­lun­gen bis hin zu anspruchs­vol­len Dis­kur­sen, die uns nach­den­ken, lachen und manch­mal still wer­den las­sen — manch­mal sogar meh­re­res davon auf ein­mal. Wir schwel­gen durch­aus schon mal in nost­al­gi­schen Erin­ne­run­gen, aber ohne uns dar­in zu ver­lie­ren und sind — ob beim Quat­schen im Auto oder auf dem Mäu­er­chen mit einem Glas Wein in der Hand — mit­ein­an­der ganz im Hier und Jetzt. Wir ent­de­cken Din­ge für- und mit­ein­an­der und machen uns auf Din­ge auf­merk­sam, die dem oder der einen oder ande­ren viel­leicht ent­gan­gen wären und die wir als Bild, Erin­ne­rung oder auch als rosa Kame­vals­hut mit nach Hau­se neh­men. Wir haben unter­schied­li­che Schritt­ge­schwin­dig­kei­ten und kom­men am Ende doch immer wie­der zusam­men irgend­wo an. Ich glau­be, wir for­dern uns auf unter­schied­li­chen Ebe­nen immer wie­der gegen­sei­tig her­aus, intel­lek­tu­ell, viel­leicht auch emo­tio­nal oder ein­fach in unse­rer Unter­schied­lich­keit.

Wir umar­men uns nach einer Woche, einem hal­ben Jahr oder sogar fast sechs Jah­ren das ers­te Mal wie­der und sind uns ab genau die­sem Moment wie­der ganz nah oder näher als je zuvor.

Nicht jede mei­ner Freund­schaf­ten wür­de ich genau­so beschrei­ben. Und das fin­de ich auch gar nicht schlimm. Ich sehe es — ganz im Gegen­teil — eher als Gewinn zu wis­sen, dass mei­ne Freun­de kei­ne Scha­blo­nen, nicht ein­fach aus­tausch­bar oder alle gleich sind. Aber ich bin unfass­bar dank­bar, Freun­de zu haben, die ich letzt­lich doch genau­so beschrei­ben kann, und dass ich die Mög­lich­keit habe, Zeit mit ihnen zu ver­brin­gen und so wert­vol­le Momen­te — nicht nur aus die­sen vier gemein­sa­men Tagen — mit­neh­men zu dür­fen. Wahr­schein­lich ist das oben beschrie­be­ne nicht die ein­zi­ge Defi­ni­ti­on einer ech­ten Freund­schaft für mich, aber den­noch eine, die für mich eine ganz beson­de­re Bedeu­tung hat.

Foto: ian doo­ley/Uns­plash