Über Blätter

Ich sah ein Blatt vom Baum fallen, neulich auf einem Spaziergang. Ich behaupte zwar in jeder Jahreszeit, sie wäre mir die Liebste, aber mal ehrlich, nichts kommt dem Herbst gleich. Und der goldene Oktober machte es mir dieses Jahr auch besonders leicht, bei stundenlangem Wandeln unter seinen Sonnenstrahlen.

Der Herbst ist wohl von jedem geliebt, so lange er uns solche Tage schenkt. Kommen die trüben Tage mit wenig Licht sieht das anders aus: Mit dem Regen kommt auch die Melancholie.

Kein Zufall, dass wir zu dieser Zeit im Kirchenjahr unserer Toten gedenken, wenn die Tage dunkel werden und es noch so weit hin ist zum Frühjahr. Da werden Lichter entzündet und Gräber bepflanzt. Und ich bin froh darüber, dass wir uns in Kirche dem noch stellen, wo doch der Tod gesellschaftlich so weit weg ist von uns. In Multioptionsgesellschaften will keiner sterben oder damit konfrontiert werden.

Eigene Endlichkeit? Würd ich auch gern abbestellen. Jenseits? Habe ich nicht gebucht.

So fiel also vor mir dieses Blatt vom Baum. Und ich stand dort und bewunderte es und es rührte mich an: So schön seine Blüten im Frühjahr, so frisch sein Grün im Sommer, so kommt doch nichts seinem goldenen Glanz im Herbst nach. Und auf dem Höhepunkt seiner Schönheit, seines Seins, fällt es herab.

Es wehte kein Lüftchen, kein Windstoß zerrte an ihm, allenfalls wars ein leises Säuseln, als sein Flug begann. Drehte hier und da noch eine Schleife, der Erde entgegen, der es entstammte.

Sterben, das will ich immer noch nicht. Aber in einem fallenden Blatt begegnete mir neulich das Leben. Und das Wissen darum, dass irgendwann ein neuer Frühling kommen wird. Das Blatt wird dann keines mehr sein. Aber es ist nicht verschwunden. Es ist immer noch irgendwie da.

Man könnte sprechen vom Kreislauf des Lebens. Andere nennen es Schöpfung.

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