Staunen

Es kribbelt. Überall. Irgendwie kommt ein Gefühl von Sehnsucht auf. Vielleicht,weil ich viele Jahre im Sommer am Meer war. Der Bus rollt auf den Hafen zu und ich sehe: das Meer. Mit den ersten Schritten Richtung Anleger kommen die Erinnerungen wieder. Wir sind Meerurlauber, Muschelsammler, Strandspazierer, In-die-Wellen-Gucker in unserer Familie. Stundenlang kann ich am Meer sitzen und auf die Wellen starren – wie sie sich am Land brechen, wie es schäumt. Im Hintergrund grauer Himmel, große Containerschiffe ziehen vorbei. Sand fliegt mir ins Gesicht und es knirscht zwischen den Zähnen. Er rieselt schon aus meinen Haaren.

Normalerweise sitze ich hier und schaue raus aufs Meer und bin Gott ganz nah. Weil ich mich klein fühle vor dieser Gewalt. Er, der Große, und ich, der Kleine. Heute ist es anders. Da sind nicht nur ich und er. Da sind mehr. Was, wenn wir beide in diesem Moment in einer Verbindung mit allen sind, die uns hier umgeben? Nicht nur die Menschen. Jedes Sandkorn, jeder Tropfen im Meer, die Möwe über mir und die Menschen dort hinten auf dem Containerschiff, die Muschel im Sand? Was, wenn wir gerade alle miteinander im Kontakt sind und jeder meiner Atemzüge auch die anderen bewegt? Diesmal ist die Verbundenheit größer als nur er und ich.  Es ist anders – und es fühlt sich gut an. Diesmal bin ich nicht klein vor der Größe Gottes. Diesmal bin ich Teil von der Größe, die er mit allen anderen teilt. Diesmal staune ich wieder – nur anders.

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