Sommersong

Jetzt ist Sommer!

Um das zu merken, brauche ich weder Kalender noch Thermometer. Ich kann es hören. Die aktuellen Lockerungen der Pandemieregeln verstärken, was auch sonst gilt: Der Sommer klingt – und zwar ziemlich divers.

Kleines Geräuschprotokoll von einem Fußweg dieser Tage am frühen Abend: Im Straßenverkehr zunehmend Motorradgebrumm und quietschende Reifen von Playboystarts. In Straßencafés und beim Parkpicknick: entspanntes Geplapper und Geklapper und (unterschiedlich entspanntes) Eltern-/Kindergelächter bis -geschrei. Am Weiher Entengeschnatter und Fontänengeplätscher. Im hinteren Parkteil ist die Ghettoblaster-Gang mit Wummerbässen zugange. „Was wohl die Älteren in den Häusern drumherum davon halten“, denke ich – bis hinter der nächsten Kurve, wo der Alleinunterhalter bei der Schlagerparade auf der Seniorenheim-Terrasse lautstärkemäßig locker mithält. Kurz vorm Ziel noch ein Highlight: der Zumba-Kurs im Fitness-Studio bei offenem Fenster mit für Unbeteiligte ziemlich martialisch klingendem Einpeitscher. Zwischendrin unterwegs: Vogelgezwitscher – Original-Tweets. Auch die Piepmätze legen sich bei genauem Hinhören richtig ins Zeug – zumindest bis Sonnenuntergang, der ja in diesen Tagen mit der 10-Uhr-Sperrstunde zusammenfällt.

Endlich sind wieder Chorproben erlaubt – wenn auch nur outdoor, mit Nachweis und kleiner Besetzung wegen Mindestabstand. Nach einem knappen Jahr Pause ist das (gemeinsame) Singen wie die Rückkehr nach Hause nach längerer Abwesenheit: vertraut und ungewohnt zugleich.

Mit der geballten Ladung Leben in der Natur lädt der Sommer zum Aus-sich-Herausgehen ein, zu guter Laune, Entspannung oder Partystimmung – trotz aller Vernunftgründe, gerade jetzt und rückblickend und vorausschauend und sowieso grundsätzlich zurückhaltend und umsichtig zu sein.

Mir fällt dazu neben unzähligen Sommerhits der letzten Jahrzehnte ein Song ein, der es sogar ins Evangelische Gesangbuch geschafft hat: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit.“ Nicht ganz unsere Sprache, aber der Text ist auch knapp 370 Jahre alt. Er entstand kurz nach einem Krieg, der im damaligen Deutschland ein Drittel der Bevölkerung das Leben kostete – 6 Millionen Todesopfer.

Trotz dieser extremen Ausnahmesituation, die auch das Leben der Überlebenden radikal verändert haben muss, ist der Text von 1653 voll guter Laune und Überschwang – mit sage und schreibe 15 Strophen. Und er fährt eine beachtliche Geräuschkulisse auf: rauschende Bäche und das „Lustgeschrei“ von Schafen und Hirten. Lerchen, Störche, Hirsche, Bienen und vieles mehr tauchen auf. Jung und Alt jauchzen über den Weizen, der „mit Gewalt“ wächst. Und es geht auch um mich: „Ich selber kann und mag nicht ruhn“ und „ich singe mit, wenn alles singt.“Außerdem gibt’s eine Vorankündigung für den dicksten aller Sounds, in „Christi Garten“: „Wie muss es da wohl klingen, da so viel tausend Seraphim, mit unverdrossnem Mund und Stimm ihr Halleluja singen.“

Knapp hundert Jahre später textet ein ähnlich Unverdrossener für ein Beerdigungslied: „Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe.“

Am besten fasst das alles der Sommerhit von 2001 zusammen: „Sommer ist, wenn man trotzdem lacht.“ Und wer neugierig auf die 15 Strophen ist: Evangelisches Gesangbuch Nr. 503.

Foto: Adrien Olichon/Unsplash

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