Schmerz ist normal

Mitten im Telefonat fragt mein guter Freund Udo mich: „Sag mal, glaubst du, dass wir wieder zur Normalität zurückkehren, wenn Corona vorbei ist?“ Ich überlege kurz. „Ja“, sage ich, „werden wir. Bei einigen Dingen werden wir denken, dass es die Normalität ist, die wir schon vorher hatten, und gar nicht merken, dass es anders ist als vorher.“

Ich lege auf und überlege: Was ist es denn, das sich im Moment am wenigsten normal anfühlt? Für mich, dass sich das Leben auf einmal so nüchtern präsentiert wie eine Checkliste. Homeoffice, Homefitness, Homekino, Homeallesirgendwie. Offenbar die einzige Überlebensstrategie ist für viele eine Art Funktionsmodus. Bloß nichts an mich heranlassen, das mich emotional berührt. Zähne zusammenbeißen. Ich wusste noch gar nicht, an wie vielen Stellen im Körper und im Herzen ich was zum Zusammenbeißen habe.

Ich schaue in meine Umgebung. Es ist überall. Der Tag, der so wie gestern verläuft, ohne Höhen, ohne Tiefen. Aha, abhaken, weiter. Dass du daher so schlecht einschläfst und morgens wie gerädert bist. Aha, abhaken, weiter. Die Studienaufgabe, die du genau wie der ganze Kurs neu machen musst, weil irgendwer im Zoomchat die Lösungen eingestellt hat im Glauben, die Professorin merkt es nicht. Aha, machen, abhaken, weiter. Dass er, als und weil das noch ging, mit seiner Ex auf die Kanaren flog, die Reise, die du für unverantwortlich hieltst, und per WhatsApp mit dir Schluss machte. Aha. Kurz zucken. Abhaken, weiter. Dass Günter eine Tumordiagnose hat und du ihn im Krankenhaus nicht besuchen darfst. Aha, abhaken, schwer schlucken, nochmal schlucken, nein, weiter. All die Trauer ohne Abschied. Aha, aha. Ah. Wie weiter? Weiter.

Eines Tages werden wir vor Überraschung einmal scharf die Luft einziehen: Es ist vorbei. Wir werden die Zunge vom Gaumen lösen und die Zähne voneinander. Dann werden wir ausatmen, lange, lange. Dann werden wir uns furchtbar wundern, dass da so viele Tränen hinterherkommen. Uns hoffentlich erinnern, dass das die Normalität ist, die wir schon vorher hatten: Schmerz ist normal.

Text: Angela Reinders
Foto Diana Polekhina/Unsplash

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