Schatz­kis­te

von Mareile Mevihsen

Schatz­kis­te

von Mareile Mevihsen

Bei mir hat in vie­len Jah­ren mei­ner Jugend nicht täg­lich das Mur­mel­tier gegrüßt, son­dern mein Vater. Stän­dig wur­de ich höf­lich dar­auf auf­merk­sam gemacht, doch mei­ne Sachen nicht über­all her­um lie­gen zu las­sen bzw. nach mehr­ma­li­ger nicht erfolg­ter Auf­for­de­rung wur­den mir die Din­ge meis­tens in mei­nem Zim­mer depo­niert. Spä­tes­tes da nerv­ten sie mich dann und ich räum­te sie brav weg.

Jetzt ist es doch schon weit mehr als ein Jahr­zehnt her, dass ich mein Eltern­haus ver­las­sen habe, aber Sachen habe ich immer noch da. Ohne eige­nes Eigen­tum und mit begrenz­tem Platz, haben mei­ne Eltern groß­zü­gig vie­les auf­ge­ho­ben. Alle paar Jah­re dann das gro­ße Resü­mee: Sol­len wir das wei­ter auf­be­wah­ren für dich?

Neu­lich war es dann mal wie­der soweit oder: Sie haben das letz­te Mal gefragt, denn dies­mal fan­den sie, es wäre Zeit mich end­gül­tig zu ent­schei­den. Also wühl­te ich mich an einem irre war­men Früh­lings­tag durch Ecken des Dach­bo­dens – der wird näm­lich nun um ers­ten Mal reno­viert nach mei­ner Geburt, also irgend­wie schließt sich hier auch der Kreis.

Man­ches fliegt direkt in die Ton­ne: Viel gelieb­te Back­street Boys Vide­os. Bücher mit denen ich fürs Abi gelernt habe. Kit­schi­ge Erin­ne­run­gen, die mir nichts mehr bedeu­ten. Oder Foto­al­ben von Zei­ten, an die ich nicht erin­nert wer­den möch­te.

Und dann sind da die ande­ren Din­ge, die ich am Ende mit­neh­me in zwei Kis­ten. Mei­ne Map­pe aus dem Kunst­un­ter­richt. Hier fin­de ich Zeich­nun­gen vom 11.September 2001 – offen­sicht­lich haben wir das in Kunst auf­ge­ar­bei­tet. Da war ich 16. Bis heu­te erin­ne­re ich mich an die­sen Tag, ein Tag an dem mei­ne kind­li­che Sicher­heit ein Ende fand.

Ein klei­ner gol­de­ner Por­zel­lan­vo­gel. Eine töp­fern­de Nach­ba­rin hat­te ihn mir gemacht. Ein ech­ter Schatz und obwohl unglaub­lich häss­lich, ich kann nicht anders als ihn mit­zu­neh­men.

Mei­ne Tage­bü­cher. Sei­ten­wei­se Geschich­ten, Gedan­ken, Erleb­nis­se aus Jugend­jah­ren. Vie­les pein­lich. Und doch: Ich blei­be hän­gen an der Schil­de­rung mei­nes ers­ten Kus­ses. Mann war der schön. Wenn ich die Augen schlie­ße kann ich ihn heu­te noch auf mei­nen Lip­pen spü­ren. Der per­fek­tes­te ers­te Kuss den man bekom­men konn­te. Was ein Glück.

Und dann sind da immer wie­der Über­bleib­sel aus der Schul­zeit, Skiz­zen, Refe­ra­te, Fach­ar­bei­ten. Immer wie­der lese ich dar­in: Ich will Schrift­stel­le­rin wer­den. Die ers­ten Zeich­nun­gen über Berufs­wün­sche – da war ich 12 da steht es schon, genau­so wie in der Ober­stu­fe.

Wer auf­merk­sam liest über mich der weiß: Ich bin kei­ne Schrift­stel­le­rin gewor­den. Mei­ne Wege waren ganz ande­re. Und doch schrei­be ich. Anders als ich dach­te. Nicht weni­ger schön.

Ich schrei­be also. Über klei­ne und gro­ße Schät­ze eines Lebens. Mei­nes Lebens. Und sei­nen uner­gründ­li­chen und zugleich gold­rich­ti­gen Wegen.

Foto: Marei­le Mevih­sen