Muss da nicht noch was hin?


Ich habe so auf euch gewartet, Sternchen, Liebling. Das Jahr ist doch fast rum, wo seid ihr abgeblieben?
Vor über zehn Jahren hat eure Geschichte begonnen. Jedes Jahr seid ihr hier in dieser Schutzhütte gewesen, habt euch verewigt, manches Jahr sogar zweimal. Sorgsam, immer mit der gleichen Farbe habt ihr die Jahreszahl eures Besuches aufgemalt, damit er für alle sichtbar ist, nicht verblasst, eure Geschichte erzählt. Nur jetzt, dieses Jahr, bricht sie ab. Seid ihr umgezogen? Hat Corona euch einen Strich durch die Reihe gemacht?
Sternchen und Liebling, ihr bliebt nicht allein. Etwas kleines Liebes kam dazu oder ein Mini-Sternchen, wer weiß, mit welchem Kosenamen ihr eure Jill nennt. Acht Jahre ist sie jetzt schon alt, als sie drei Jahre alt war, habt ihr geheiratet. Frau Sternchen und Herr Liebling, glaube ich.
Kleine Notizen auf dem Küchenzettel. Liebling, bringst du Äpfel mit? Das Hintergrundbild auf dem Smartphone: Sternchen und Jill, lachend, weißt du noch, da war sie gerade eingeschult. Das Bild wird groß und deutlich, wenn „Sternchen“ anruft. Genau so ist sie eingespeichert in den Kontakten.
Sternchen, Liebling, kommt ihr noch? Oder ist es vorbei und ihr seid nur noch Daniel und Vanessa?
Kein Sternchen ohne Liebling. Ohne Sternchen ist Liebling nur Sachbearbeiter Buchstabe D bis L, Hobby-Fußballspieler, der unscheinbare Nachbar. Liebling aber, Liebling ist er nur durch Sternchen. „Ich bin durch Dich so ich“, heißt ein Buch eines alten Benediktiners.
Es gibt ein Du, durch das ich erst weiß, wer ich bin. Ich brauche es.
Wen brauche ich, um ich zu sein? Welchem Du sollte ich das einmal so sagen? Muss da für 2020 noch was hin?

Text: Angela Reinders
Foto: Raisa Nastukova/Unsplash

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