Momentaufnahme
Schon am nächsten Morgen weiß ich nicht mehr, warum genau er nachts um halb zwölf plötzlich vor meiner Tür stand. Langeweile hatte uns einen Filmabend aufgedrängt, so spontan, dass er erst spät begann.
Als der Film vorbei is,t noch ein bisschen Smalltalk. Und dann, völlig ahnungslos, treffe ich genau ins Schwarze mit dem „Wie geht es dir denn eigentlich?“.
Und aus dem jungen Mann, der meines Erachtens nach alles hat, wird plötzlich einer, der ziemlich allein mit sich ist, als er mir von seinem Leben erzählt, als die Maske fällt. Und ich beginne zu begreifen, was all die Jahre, die ich ihn nun kenne, nicht zusammen zu passen schien. Schlagartig sehe ich ihn vor mir, beim Abschlussgespräch der Firmvorbereitung vor acht Jahren. Er haderte mit Gott, er konnte ihn kaum wahrnehmen in seinem Leben. Und ich verstand es einfach nicht, ich spürte, da ist etwas, aber konnte es nicht greifen. Firmen lassen hat er sich trotzdem. Weil ihm die Gemeinschaft, die er in Kirche erfahren hatte, so viel bedeutet hat, dass er das Ganze nicht aufgeben wollte.
Ich glaube, dass er sich richtig entschieden hat, damals, mit dem Ja zur Firmung, auch wenn ich seinerzeit unsicher war, ob der winzige Funke in ihm reichen würde. Aber wenn dieser Gott, wenn mein Gott so ist, wie ich ihn erlebe, dann ist er vor allem eins: Unter den Menschen. In den Nuancen zwischen uns. In den Augenblicken, wenn wir in wahrhaftige Beziehung miteinander treten. Da, wo wir den anderen ansehen und Worte überflüssig sind.
Es wird fast Morgen, als wir uns verabschieden. Eine verlegene Umarmung, ein Lächeln. Mach’s gut, halt die Ohren steif, man sieht sich. Der Moment ist vorüber.
Was bleibt, ist die Erinnerung, die uns manchmal lächeln lässt, wenn wir den anderen begegnen, mit denen wir solche Momente teilen. Und die Hoffnung, dass dieser Gott mir immer wieder diese Momente ermöglichen wird. Dann bin ich reich beschenkt.