Lasst uns froh und mutig sein!

Und wieder ist es soweit. Seit einigen Jahren produziert eine große deutsche Supermarktkette kurz vor Weihnachten ein emotional anrührendes (Werbe-)Video, dass Werte wie Nächstenliebe und Solidarität kreativ und verständlich ins Heute übersetzt. In kurzen Sequenzen skizziert das diesjährige Video das Aufeinandertreffen eines verbitterten alten Mannes, Herrn Schmidt, mit einer vermutlich aus dem nahen Osten stammenden Familie in einem großen Mietshaus. Herr Schmidt ärgert sich über die laut lachenden und spielenden Kinder und zertritt verärgert eine Dose, die ihnen als Fußballersatz dient. Doch dann die Wendung: Herr Schmidt erhält einen Anruf vom Gesundheitsamt, eilt hustend in die Wohnung und muss sich isolieren. Der Adventstürkranz liegt am Boden, die Quarantäne Verordnung des Gesundheitsamtes hängt warnend an der Tür. Weihnachten ist offensichtlich gelaufen. Die Kinder, die Herr Schmidt zuvor angeschnauzt hat, nehmen diese Situation wahr und werden aktiv. Zusammen mit der ganzen Familie kochen und backen sie ein klassisches „deutsches“ Weihnachtsessen und stellen es dem Nachbarn vor die Tür, der von dieser empathischen Geste sichtlich gerührt ist. Die ausdrucksstarken Bilder werden unterschrieben mit dem der Botschaft: „Lasst uns froh und bunter sein.“

Ich würde mich sehr freuen, wenn meine Kirche auch solche Geschichten erzähle könnte. Oder noch besser: Wenn man in ihr solche Dinge erleben könnte! Dass der Pfarrer, der zunächst erzürnt und enttäuscht war, weil sein sorgfältig vorbereiteter Gottesdienst um Mitternacht abgesagt werden musste, durch die Not der wohnungslosen Menschen angerührt, seine Kirche öffnet, Feldbetten bereitstellt und so denen einen trockenen und sicheren Ort gibt, die sich nicht an die nächtliche Ausgangssperre halten können. Dass die Bildungshäuser, die über die Feiertage leer stehen, Frauenhäusern als Ausweichquartieren angeboten werden, wenn diese sonst wegen Überfüllung Menschen abweisen müssten. Dass Gemeinden Videoweihnachtsfeiern für alleinstehende Menschen anbieten. Dass LKW Fahrende an Rastplätzen überraschend Weihnachtsgeschenke und eine vernünftige Mahlzeit erhalten. All das würde ich mir so sehr wünschen.
Ich glaube, dass die Gesellschaft es Christ*innen anrechnen würde, wenn diese nicht auf ihre Privilegien beharren und sich auf das Recht auf Ausübung der Religionsfreiheit zurückziehen würden. Wenn sie merken, das Christ*innen – freiwillig aus solidarischer Verantwortung – auf Liturgiefeiern in Präsenz verzichten würden, um andere nicht in Gefahr zu bringen und zu schützen. Und das obwohl die Feier der Gottesdienste ihnen zu Recht sehr sehr wichtig sind. Ich glaube es würde wahrgenommen, wenn sich Christinnen und Christen dafür entscheiden würden, dass ihr diesjähriger Weihnachtsgottesdienst kein liturgischer, sondern ein diakonischer ist.

An einigen Stellen bricht so etwas schon an. Ob es zum Beispiel die Jugendkirche ist, die einen kontaktlosen Weihnachtspodcast bereitstellt oder die Einrichtung der Offenen Jugendarbeit, die Essenstüten inklusive Kochbuch an die Familien ihrer Besucher verteilt. Alles für sich kleine oder große Weihnachtswunder! – Aber wie schön wäre es, wenn sich die großen Kirchen jetzt gemeinsam mit voller Kraft und Phantasie auf diese Fährte aufmachen würden?! Das wäre sicher auch ein Wagnis, das ein gute Stange Mut kosten würde.

Lasst uns froh und mutig sein!

Und was ist mit mir? Wo fange ich an? Ganz konkret im Kleinen? Ich habe mir vorgenommen in meiner Heimatgemeinde das Friedenslicht von Bethlehem kontaktlos zu Personen zu bringen, die es sich selbst nicht in der Kirche holen können oder wegen der Infektionsgefahr nicht holen wollen. „Lichterrando“ sozusagen. Das ist sicher nicht viel, wahrscheinlich sogar viel zu wenig. Aber ein Anfang. Ein Anfang, der es mir in diesem Jahr möglich macht, Weihnachten zu feiern.

Foto: Cedrik Wesche/Unsplash

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