Krei­de­stein

von Mareile Mevihsen

Krei­de­stein

von Mareile Mevihsen

Eigent­lich will ich nach einer Muschel grei­fen, aber dein schnee­wei­ßes Leuch­ten zieht mich magisch an. Ein Krei­de­stein, ange­schwemmt an der nord­fran­zö­si­schen Küs­te.

Ich mag die Vor­stel­lung, dass du ein Teil der bri­ti­schen Krei­de­fel­sen warst. Fest und unnach­gie­big, Stür­men trot­zend und strah­lend Weg­wei­send für alle, die an dei­ner Küs­te stran­de­ten. Was magst du gese­hen haben über die Jah­re? Wie es um dich her­um brü­chig wur­de? Wie der Oze­an hoch­schlug und dir stück­chen­wei­se das Ver­trau­te nahm? Wie du selbst spür­test, dass es brö­ckelt? Und eines Tages dann, der gro­ße Bruch: Du fällst, die ver­trau­ten Ufer schwin­den in Win­des­ei­le und das Was­ser schlägt über dir zusam­men.

Aber du bist nicht dazu bestimmt, unter­zu­ge­hen. Das Meer trägt dich, Tage und Wochen und du lernst, dich den Wogen anzu­ver­trau­en. Wenn die Gischt hoch­schlägt neben dir oder die Son­ne um dich her­um alles zum Glit­zern bringt, dann bist du auf ein­mal so viel mehr Teil von allem, als dort oben auf der Klip­pe, erha­ben über alles.

Der Sturm ist es, der dich an den Strand tost. Eine Nacht ver­geht und ein Tag, bis ich dich fin­de. Kühl bist du in mei­ner Hand, hart dein Gestein. Und doch, hat das Meer dich weich gemacht, dich rund geschlif­fen. Zart strei­fe ich über die Spu­ren, die es an dir hin­ter­las­sen hat. Ich umschlie­ße dich ganz und danach sind dei­ne Krei­de­spu­ren auf mei­ner Hand. Rauh sind mei­ne Hän­de, noch lan­ge nach­dem ich dich los­ge­las­sen habe. Und dein Schnee­weiß leuch­tet weit über den Sand.