Komm und Sieh
Ich habe mal wieder mein ganzes Leben in Kartons verpackt: Umzugskartons. Denn ich ziehe wieder einmal um. 13 Mal habe ich das schon in meinem Leben getan, mal über Ozeane hinweg, über Landesgrenzen oder auch einfach nur einen Stadtteil weiter.
Als ich davon gestern einer ehemaligen Kollegin aus meiner Kaplanstelle erzählte, sagte sie zuerst erfreut: Dann steht ja bald eine Einzugsparty an. Aber sofort korrigierte sie sich und stellte fest: Ach nein, bei Dir ja nicht. Du hast aus Deiner Wohnung immer ein Geheimnis gemacht.
Und das stimmt! In den sechs Jahren, in denen diese Kollegin mich in der Pfarrei erlebt hat, habe ich nur sehr sehr wenige Menschen in meine vier Wände hineingelassen. Heute Nacht habe ich lange darüber nachgedacht, warum es so war. Die ersten Jahre im Dienst als Priester waren für mich sehr anstrengend. Ich wollte mich persönlich einsetzen. Immer mit „Ich-Aussagen“ predigen, immer auch von mir berichten aus meinem Leben und von meinem Glauben, immer offen sein, immer verstehen und mitfühlen wollen. Aber meine Wohnung war tabu, mein Rückzugsort. Wenn ich da die Tür zugemacht habe, dann war ich auch manchmal endlich für mich allein. Das war ein ziemlicher Spagat in diesen Jahren.
Die Kollegin hat recht. Ich habe meine Wohnung für fast niemanden geöffnet und auch für manche aus der Pfarrei war es ein „nettes Spiel“ mehr über diese Wohnung zu erfahren.
Die Situation mit der Kollegin von gestern trifft mich, weil ich mich gerade mit einer Bibelstelle beschäftige, in der es gerade darum geht jemand in seine vier „Wände“, in sein Leben hereinzulassen und dabei nicht abzublocken.
Jesus wollte nach Galiläa aufbrechen; da traf er Philippus. Und Jesus sagte zu ihm: Folge mir nach! Philippus war aus Betsaida, dem Heimatort des Andreas und Petrus. Philippus traf Natanaël und sagte zu ihm: Wir haben den gefunden, über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus aus Nazaret, den Sohn Josefs. Da sagte Natanaël zu ihm: Aus Nazaret? Kann von dort etwas Gutes kommen? Philippus antwortete: Komm und sieh!
Jesus öffnet dem Philippus sein Leben, damit dieser ihm folgt. Damit dieser mitkommt und sieht wie dieser Jesus ist, wie Gott ist. Vor allem aber auch, damit jemand sehen kann, dass in diesem Jesus Gutes steckt und seine Botschaft gut ist. Und davon ist Philippus so erfüllt, dass er Natanael einlädt auch mitzukommen. Damit dieser seine Vorurteile abbaut.
Das ist für mich ein starkes Bild. Da wird Leben geteilt, weil einer sein Leben den anderen eröffnet und keine Scheu hat, sich ihnen zu zeigen. Das löst etwas aus – eine Kettenreaktion geschieht. Und ich bin ganz anders. Ich frage mich was meine Wohnung für eine Botschaft von meinem Leben spricht und sie tut es in einer unglaublichen Fülle. Davon bin ich überzeugt. Habe ich aber Angst davor? Davor, was die Menschen dann denken mögen. Oder will ich doch einfach nur „mein Reich“ haben?
„Komm und sieh“ ist mir gerade zur Herausforderung geworden. Wie weit gebe ich Menschen als Priester Einblick in mein Leben und meinen Glauben? Wo ist da die Grenze erreicht und darf es die überhaupt geben? Und ja, ich zweifle selber daran, dass es die Einweihungsparty geben wird!
Foto: complize / photocase.de