Kleine Schritte

Ich mag es, Dinge zu planen. Meine Freunde wissen es zu schätzen oder auch zu ertragen, dass ich es als total befriedigend erfahre, zu wissen, wann die nächsten Treffen anstehen, was in den nächsten oder übernächsten Ferien ansteht, wo es im Kleinen und Großen hingehen soll. Am liebsten gedanklich immer einen Schritt voraus.

Da kommt Vorfreude auf. Aber noch mehr: Es gibt mir auch Halt. Da gibt es keine Leerstellen, da gibt es keine zu großen Lücken, die aufkommen könnten, keine „leeren“, „ungenutzten“ Wochenenden oder Ferien. Das fühlt sich sicher an.

Und mal wieder bietet mir die Corona-Zeit gerade eine echte Herausforderung. Nach den Erfahrungen im Frühjahr, beispielsweise die kleine Italienreise mit meiner Schwester, dann auch viele Familien- und Freundestreffen, Konzerte und auch größere Reisen absagen zu müssen, kommt jetzt ein neues Gefühl hinzu. Seit wir an unserer Schule vor kurzem die ersten Coronafälle mit immer wieder neuen Quarantänen hatten und die Beschränkungen wieder strikter werden, merke ich, dass nicht mehr nur die großen Events in Frage stehen, sondern mein ganz konkreter Alltag bedroht ist. Mir wird bewusst: Es kann jeden Tag sein – und ist gar nicht so unwahrscheinlich – dass mich eine Quarantäne ereilen wird; damit verbunden das Gefühl, völlig aus meinem Alltag gerissen zu werden: Kein Rausgehen, kein Sport draußen, kein Einkaufen, erst recht nicht das mit Vorfreude erwartete Treffen mit ein paar Freunden im kleinen Kreis oder eine der anderen coronakonformen Veranstaltungen; im Gegensatz zum Lockdown dann allerdings wahrscheinlich, während für alle Anderen das „fast normale Leben in Coronazeiten“ weitergeht.

Und ja, das mag ein Luxusproblem zu sein, aber ich muss mir eingestehen, das macht mir irgendwie Angst und fordert mich mehr heraus, als ich es erwartet hätte. Ehrlich gesagt ärgert es mich und nimmt mir so viel von meinem wohlgeplanten Halt. Da kann etwas völlig willkürlich über mich hineinbrechen, ungeachtet dessen, wie vorsichtig ich mich beispielsweise in der Schule verhalte, durchgängig meine Maske trage, meine Hände desinfiziere und Abstand halte. Das ist doch unfair. Hier habe ich keine Kontrolle, keinen Einfluss. Das fällt mir echt schwer.

Aber ist nicht genau das das Leben? Muss ich mir nicht eingestehen, dass das, was ich hier so unmittelbar und konkret erlebe, jederzeit auch völlig unabhängig von Corona passieren kann? Dinge, Menschen, Pläne festhalten, das ist wahrscheinlich – gerade dann, wenn es einem gut geht – menschlich. Das gibt einem das Gefühl, die Kontrolle zu behalten, es beeinflussen zu können, was passiert, darauf Acht geben zu können, dass Dinge so (schön) bleiben, wie sie sind.

Aber da sind wir wieder bei der Herausforderung: So angenehm diese Idee für mich ist, das ist nicht, wie das Leben funktioniert. Und auch wenn dies nicht völlig neu ist, trifft mich diese Erkenntnis. Ich kann vieles, aber längst nicht alles kontrollieren; nur sehr bedingt, was in meinem Leben heute, morgen, übermorgen passiert und auch nur wenig, was im Leben mir naher Menschen geschieht oder wofür sie sich aus freien Stücken entscheiden. Corona konfrontiert mich hier mal wieder ganz unmittelbar mit dem Leben.

Immer wieder, wenn mir das klar wird, heißt es für mich: durchatmen, vielleicht auch schlucken, mit inneren Monstern kämpfen, akzeptieren, annehmen, dass die Situation gerade genauso ist. Und immer wieder loslassen. Loslassen vom Gedanken, alles kontrollieren zu können, loslassen davon, dass alle meine Pläne genauso aufgehen, wie ich sie mir ausmale, loslassen davon, zu viel Einfluss auch auf andere Menschen nehmen können. Loslassen und die damit verbundene Unsicherheit und Angst spüren. Innehalten und spüren. Erst einmal nicht weitergehen und Lösungen suchen. Nur fühlen, dass sie da sind.

Und in diesem Anerkennen der Angst, im „Immer-wieder-loszulassen-Versuchen“, im Hiersein kommt mir das Wort „Gottvertrauen“ in den Sinn; Vertrauen, dass Dinge so kommen werden, wie sie sollen; Vertrauen, dass es vielleicht einen größeren Plan gibt; Vertrauen, dass Dinge, die im Leben passieren, mich herausfordern und mich weiterbringen werden (vielleicht besonders die, die ich so nicht für mich geplant hätte); Vertrauen, dass ich dabei nicht allein bin. Auch die Bibel spricht immer wieder von diesem Gottvertrauen, ob im Gottesnamen „Ich bin da!“, in so vielen der Psalmen oder in den Wundern Jesu, von denen ich besonders die uneingeschränkte Zuwendung und den Zuspruch Jesu an den Menschen, der da gerade bei ihm ist, so sehr bewundere.

Ich bin mit dem Thema noch nicht durch… Vielleicht werde ich das in der Coronazeit auch nicht schaffen, aber es ist eine Herausforderung für mich. Und ganz im Sinne dieser Herausforderung und auch als kleine Hilfe, in diesem Vertrauen immer weiter kleine Schritte zu gehen, darf ich wieder einmal mit einem Zitat aus einem meiner Lieblingsbücher enden:

 

Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten.“ Wieder hielt er inne und überlege, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude, das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.

(Beppo Straßenkehrer, aus „Momo“ von Michael Ende)

Foto: Markus Spiske/Unsplash

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