Ich mach mein Ding!

Endlich ist es geschafft, das Schuljahr hat wieder einmal sein Ende gefunden und alle Schülerinnen und Schüler sind – hoffentlich – in ihrem wohl verdienten Urlaub angekommen. Und auch ich darf zumindest kurz einmal die Beine hochlegen, die Fülle an Abschlussgottesdiensten in die Aktenordner einheften, bevor es mit den Einschulungsgottesdiensten wieder munter weitergeht.

Dieses Jahr haben mich die Abschlussgottesdienste ganz schön geschlaucht und irgendwie unter Druck gesetzt. Ich fragte mich wochenlang, was ich all den Realschülern, Hauptschülern und Abiturienten wünschen soll. Ja, im Ernst, was sagt man jungen Menschen, die in diese Welt starten? In eine Welt, die momentan von Leid, Krieg und Gewalt geprägt ist. In eine Welt, in der du nur wer bist, wenn du auch gute Leistung bringst. In der du mit 70 noch aussehen sollst wie mit 20. In der Säuglinge im Mutterleib mit klassischer Musik beschallt werden, um möglichst intelligent zu werden. In der Kinder nicht mehr frei spielen dürfen, sondern „über-fördert“ werden. In einer Welt, in der du einen Doktortitel brauchst, um Anerkennung zu verdienen und gehört zu werden.

Ich schaue während der Abschlussgottesdienste in viele Gesichter, die zwar erleichtert sind, eine Hürde geschafft zu haben, die aber genau wissen, dass die nächste Hürde schon wieder vor ihnen liegt. Gesichter, die aus einem System kommen, in dem deine Leistung deinen Wert bemisst. Gesichter, die unentspannt sind, weil auf ihnen viele Erwartungen lasten. Erwartungen der Eltern: „Aus dir muss was werden, Kind! Die Welt ist kein Ponyhof… Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Erwartungen der Freunde „Mach doch sowas. Das konntest du immer schon gut!“, Erwartungen der Lehrer und zuletzt meine eigenen Erwartungen an mich und mein Leben.

Erwartungen. Ich denke, jeder kennt die aus seinem eigenen Leben und ich muss sagen, dass ich sie satt bin. Ich habe da keine Lust mehr drauf, mein Leben nach den Erwartungen der anderen zu gestalten. Auch in meinem Leben gibt es Menschen, die es besser wissen, die enttäuscht und verletzt sind, wenn ich anders handele, als es in ihr Bild von mir passt. Die klar haben, was gut für mich ist und was nicht. Ich möchte mich frei machen davon. Ich möchte leben. Angstfrei. Sorglos. Meinem Herzen vertrauend, das mir sagt und zeigt, wofür ich brenne, was in mir Gottes Geist weckt, mich lebendig macht. Ein schwieriger Weg, der nicht immer auf Verständnis trifft, in dem ich aber mir selbst und Gott ganz nahe bin.

Das Evangelium über die Talente in Mt 25,14-30 handelt genau von diesem Thema. Es gibt da die drei Knechte, die von ihrem Herrn Geld bekommen und damit was machen sollen. Der letzte der drei Knechte vergräbt das Geld und als der Herr wiederkommt und fragt, was die drei Knechte mit dem Geld gemacht haben, schneidet der dritte sehr schlecht ab, weil er das Geld nur vergraben hatte. „Ich wusste, dass du ein strenger Herr bist, dass du erntest wo du nicht gesät hast und einsammelst, wo du nichts ausgeteilt hast. Deshalb hatte ich Angst und habe dein Geld vergraben.“

Die Angst vor der Reaktion anderer, die Sorge andere zu enttäuschen, lähmt uns so oft, mit dem, was uns geschenkt wurde, zu leben, es einzusetzen, etwas daraus zu machen. Dabei wissen wir oft gar nicht, ob die anderen uns wirklich dafür verurteilen würden. Der Herr hatte den Knechten das Geld gegeben, ohne sie aufzufordern, damit was zu tun. Er hatte es ihnen nur geschenkt. Aber der dritte Knecht hat so ein schlechtes Bild von dem Herrn und so viel Angst, ihn zu enttäuschen, dass er lieber gar nichts gemacht hat und sich selbst behindert hat, frei zu leben.

Wenn ich mir bewusst mache, wie oft ich schon wie dieser dritte Knecht gehandelt habe. Wie oft ich Angst vor Reaktionen und Enttäuschungen anderer hatte und deshalb nicht, mit dem, was ich gegeben bekommen habe, frei leben konnte, dann macht mich das sehr traurig.

Ich will leben! Angstfrei. Sorglos. Ich will nicht in Schablonen gepresst werden. Ich will frei sein von den Erwartungen und Enttäuschungen anderer. Ich will lebendig sein und Gott will, dass ich lebe!

Im Endeffekt ist es dieser Ruf zur Freiheit – den ich selbst verspüre -,  den ich all den Schülern, die in ihr Leben starten, aber auch den schon Erwachsenen in ihrem Leben mit auf dem Weg wünsche.

Leb und mach dein Ding!

Raphaela Reindorf

Foto: 3format/photocase 

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