Fearless Girl

von Jonas Zechner

Fearless Girl

von Jonas Zechner

Tür­elü­re Liß­je

Jeden Mor­gen kom­me ich auf mei­nem Weg ins Büro an einem Brun­nen vor­bei. Und jedes Mal habe ich ein rich­tig ungu­tes Gefühl im Bauch. Der Brun­nen steht direkt neben der Bis­tums­ver­wal­tung und heißt Tür­elü­re-Lies­chen-Brun­nen.

Der Brun­nen zeigt eine Sze­ne eines gleich­na­mi­gen alten Aache­ner Kin­der­lie­des in der ein Mäd­chen, das Tür­elü­re-Liß­je, von Jun­gen auf­ge­hal­ten und so lan­ge­ge­hin­dert wird, eine Toi­let­te auf­zu­su­chen, bis es dafür zu spät ist. Die Jun­gen ver­sper­ren den Weg und tan­zen um das Mäd­chen her­um. Schließ­lich weiß Liß­je sich nicht mehr zu hel­fen und muss sich im Kreis der Jun­gen hin hocken und sich an Ort und Stel­le vor den Augen ihrer Bedrän­ger erleich­tern.

Mir ist bewusst, dass es sich bei die­ser Geschich­te um Aache­ner Tra­di­ti­ons­gut han­delt, das aus einer Zeit stammt, in der Gen­der­fra­gen und Prä­ven­ti­on so nicht gestellt und reflek­tiert wur­den.
Ich möch­te auch nicht alt­klug daher­re­den und Aache­ner Stadt­ge­schich­te vor­schnell dis­qua­li­fi­zie­ren, aber die­se Bauch­ge­fühl, dass da etwas nicht passt, dass da etwas schief, ja falsch ist, bleibt bestehen.

Unlängst habe ich auf Twit­ter ein Gegen­bild hier­zu gefun­den. Es han­delt sich um eine von der ame­ri­ka­ni­schen Bild­haue­rin Kris­ten Vis­bal zum Welt­frau­en­tag 2017 im Bow­ling Green Park in New York City auf­ge­stellt Bron­ze-Sta­tue eines Mäd­chens. Die Arbeit trägt den für mich sehr stim­mi­gen Titel “Fearless Girl” (furcht­lo­ses Mäd­chen).

Fearless Girl

In der ursprüng­li­chen Kon­zep­ti­on stellt sich das Fearless Girl dem Char­ging Bull ent­ge­gen, breit­bei­nig, die Hän­de in die Hüf­ten gestemmt. Die Figur blickt den her­an­stür­men­den Bul­len, eine Sta­tue, die seit 1989 im Bow­ling Green Park an der Wall Street steht und Sym­bol für aggres­si­ven, finan­zi­el­len Opti­mis­mus und Erfolg – den Bul­len­markt – gewor­den ist, selbst­be­wusst an. Die­ses Bild berührt mich sehr pos­tiv und drückt ein Selbst­be­wusst­sein und eine Stär­ke aus, die mich inspi­riert und an ein altes Lied erin­nert, dass Maria im Lukas­evan­ge­li­um singt:

“Denn der Mäch­ti­ge hat Gro­ßes an mir getan und sein Name ist hei­lig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürch­ten. Er voll­bringt mit sei­nem Arm macht­vol­le Taten: Er zer­streut, die im Her­zen voll Hoch­mut sind; er stürzt die Mäch­ti­gen vom Thron und erhöht die Nied­ri­gen. Die Hun­gern­den beschenkt er mit sei­nen Gaben und lässt die Rei­chen leer aus­ge­hen.”

Die ein­zi­ge Auto­ri­tät, die Maria gel­ten lässt, ist Gott! — Ein Gott, der befrei­en und nicht unter­drü­cken will.

Ich fin­de, es müss­te viel mehr Brun­nen und Denk­mä­ler geben, die sol­che Geschich­ten erzäh­len. Nicht nur in New York, son­dern auch hier in Aachen, direkt vor mei­nem Büro.

Fotos: ste­ven gomez/Pexels, Jonas Zech­ner, Hyun­won Jang/Uns­plash