Evi

von Mareile Mevihsen

Ich ver­su­che es abzu­schät­zen, als er aus dem Auto steigt. Nicht so schlecht, den­ke ich, viel­leicht ist dei­ne Vor­ah­nung doch falsch. „Und?“ fra­ge ich. „Sie stirbt“, sagt er.

Sechs Jah­re leben wir hier. Eine klei­ne, ruhi­ge Stra­ße gesäumt von Bäu­men. Zu die­ser Jah­res­zeit knirscht es, weil sie voll ist mit her­un­ter­ge­fal­le­nen Nüs­sen. Die Woh­nung war ein Glücks­fall. Bes­te Lage und unter dem Durch­schnitts­preis. Nichts Beson­de­res, eigent­lich. Beson­ders wur­de sie durch unse­re Ver­mie­ter, die unter uns leb­ten. Die uns mit Ein­zug ver­si­cher­ten, wir soll­ten unse­re Wäsche ruhig auch fei­er­tags waschen. Die uns mit einem Schmun­zeln erst den zwei­ten Kel­ler­raum, dann den hal­ben Gar­ten über­lie­ßen und schließ­lich das Dach­ge­schoss für uns aus­bau­ten, als das zwei­te Kind da war. Sie hüte­ten den Hund und unzäh­li­ge Male ver­dreh­te ich inner­lich die Augen, wenn die Kin­der kurz vor dem Abend­essen aus dem hin­te­ren Teil des Gar­tens mit Eis, Scho­ko­la­de oder ande­ren Lecke­rei­en auf­tauch­ten.

Vor einem Jahr begann dann die Krank­heit, die alles ver­än­der­te. Unse­re lebens­lus­ti­ge, lie­bens­wür­di­ge Ver­mie­te­rin wur­de zum Schat­ten ihrer selbst. Lan­ge Kran­ken­haus­auf­ent­hal­te, Roll­stuhl, Pfle­ge­dienst. Immer wie­der den­ken: Mit­te 60, das ist doch heut­zu­ta­ge kein Alter mehr. Mit ihr ver­lor auch er sei­ne Lebens­freu­de. Sie kämpf­ten um Nor­ma­li­tät, aber wir hör­ten auch das Türen knal­len, sahen die Trä­nen, die Wut, den Frust. Zwei, die sich ver­lo­ren gin­gen. Als der Kran­ken­wa­gen das letz­te Mal kam, da habe ich gespürt, dass es jetzt endet.

Was bleibt, ist Leben. Nicht einen Tag, nicht einen ein­zi­gen lohnt es sich zu ver­schwen­den, mit Din­gen, die nicht dazu bei­tra­gen jeman­den glück­lich zu machen. Nicht einen.

„Seid fröh­lich auf mei­ner Beer­di­gung“, hast du gesagt und das ist wohl etwas viel ver­langt. Aber hin­ter der Trau­er, Evi, in dei­nen Kin­dern und Enkeln, wenn dei­ne Freun­de zusam­men sind und wann immer wir an dich den­ken, da wird Leben sein.

So sehr du uns fehlst: Da wird Leben sein. Ich ver­sprechs.

Foto: Mar­kus Spi­ske/Uns­plash