Cool!?

„Da werden Kindheitsträume wahr“, sagt meine Schwester lachend zu mir, als ich ihr Geschenk auspacke und eine Eintrittskarte für die Kelly Family „We got love“-Comeback-Tour in den Händen halte. Ich muss ebenfalls lachen und bin etwas unsicher, da sich mein Musikgeschmack seit 1994 ein wenig verändert hat. Damals hätte ich mich tatsächlich riesig darüber gefreut, aber mit der beginnenden Pubertät wurde es „uncool“, die Kellys zu hören und so wurden sie in meiner Musikleiste von diversen Boybands und schließlich von Metalmusik abgelöst.

„Aber warum nicht“, denke ich mir, „du bist ja für viele Musikstile offen, warum nicht auch nochmal den alten Zeiten hinterher träumen?“ und fahre mit meinem Mann zum ausverkauften Konzert. Schon von draußen höre ich eines meiner alten Lieblingslieder aus der Halle tönen und ich merke wie mir gleich das Herz aufgeht. Drinnen in der Halle wird es noch viel besser, was nicht allein an der Musik liegt, sondern viel mehr an den Menschen, die da oben auf der Bühne stehen. Ich habe schon viele Bands erlebt, aus unterschiedlichen Musikrichtungen, von Schlager über Pop zu Heavy Metal, doch keine Band wirkt so natürlich, so herzlich, so bodenständig und authentisch wie die Kelly Family. Während des Konzerts wird verstorbener Fans und verstorbener Familienmitglieder gedacht, Kranker, die daheim sitzen und nicht dabei sein können, es werden Gospels gesungen, um für das Leben zu danken, für das Gute und Schöne, dass trotz Schicksalsschlägen in jedem Leben auch zu finden ist. Und es wirkt nicht aufgesetzt, sondern die da vorne sind voller Gefühle, Trauer, Dankbarkeit, Freude, meinen das ernst, was sie da reden, was sie da singen. Das spüre ich, spüren die Fans, die ihre Lichter anmachen und still werden, die sich an die Hände nehmen, um für Frieden zu bitten und gemeinsam singen.

Und am Ende des Konzertes rennen die Kellys nicht nach der zweiten Zugabe einfach von der Bühne, so wie ich es von anderen Bands gewohnt bin. Sondern sie schütteln fleißig die Hände ihrer Fans. Beugen sich von der Bühne hinab um mit ihnen zu reden. Einer von Ihnen legt sich sogar flach auf den Boden, um auch den hinteren Fans die Hände zu schütteln und ein paar Worte zu wechseln. Er liegt immer noch dort, als schon die meisten Fans aus der Halle sind und auch wir gehen.

Im Auto auf der Rückfahrt bin ich so angerührt von diesen Menschen und denke über ein Thema nach, das mir schon viele Monate im Kopf liegt „Ist es cool, „cool“ zu sein?“. Oder: ist jemand der als „uncool“ bezeichnet wird, wirklich ein peinlicher oder komischer Mensch zweiter Klasse? Und wie ist es für mich, ist es mir wichtig, dass andere mich „cool“ finden?

Ausgelöst wurden diese Fragen ebenfalls durch ein Musikstück, welches ich Wochen zuvor im Radio hörte. Angekündigt wurde es als Neuauflage eines bekannten Stücks von Santana und voll Freude drehte ich das Radio lauter, da ich das Musikstück aufgrund der Gitarrenklänge sehr mag. Doch was aus dem Lautsprecher kam irritierte mich und spontan dachte ich: „Nee, gefällt mir nicht. Das klingt mir zu cool“. Und da ist es mir aufgefallen, dass ich „cool“ als negativ bewerte, anstatt wie es üblicherweise verwendet wird, wenn etwas als gut erachtet wird. Seltsam.

Doch es ist genau das, was ich fühle und was ich sehe, wenn ich durch die Straßen Krefelds oder auch vieler anderer Städte laufe: Menschen, die „cool“ sein wollen, deren Gesichter keine Gefühle zeigen, die mit leeren Blicken durch die Gassen gehen, andere anrempeln oder Ohrstöpsel in den Ohren haben. Die mit quietschenden Reifen an der Ampel neben mir Kavalierstarts hinlegen, um dann eine Abgaswolke hinter sich zu lassen und durch die Stadt zu heizen. Die Maske des Cool-Seins, die mittlerweile fast jeder trägt, um nicht verletzt zu werden, um angesehen zu sein, um zu den „harten Jungs“ zu gehören.

Verletzungen und Ängste verbergen sich oft hinter dieser kalten Maske, die verdrängt werden, um selbst nicht der Schwache zu sein. Dabei haben die Menschen, hat diese Welt doch Heilung so nötig. Wärme und Verständnis für den anderen in seiner Schwachheit, in seinen Abgründen und Wunden. Nächstenliebe, Mut, Hoffnung auf eine bessere Welt, in der wir die Waffen niederlegen und einander die Hände reichen.

Der verstorbene Kardinal Karl Lehmann hat das Gefühl was ich habe in seinem Testament gut auf den Punkt gebracht. Er schreibt:

„Unter zwei Dingen habe ich immer wieder und immer mehr gelitten: Unsere Erde und weithin unser Leben sind in vielem wunderbar, schön und faszinierend, aber sie sind auch abgrundtief zwiespältig, zerstörerisch und schrecklich. Schließlich ist mir die Unheimlichkeit der Macht und wie der Mensch mit ihr umgeht, immer mehr aufgegangen. Das brutale Denken und rücksichtsloses Machtstreben gehören für mich zu den schärfsten Ausdrucksformen des Unglaubens und der Sünde. Wehret den Anfängen!”

Ist nicht die „Maske des Cool-Seins“ auch ein Machtinstrument, mit dem Menschen in eine erste und eine zweite Klasse unterteilt werden, ver-urteil-t werden?

Nee, cool gefällt mir nicht, weder in der Musik, noch in den Gesichtern und dem Handeln der Menschen. Ich will Gefühle sehen und hören. Mich selbst von Gefühlen bewegen lassen, warmherzig sein, mit offenen Augen und Ohren durch die Welt gehen, mit meinem Herz in der Hand, verletzbar, mit Liebe im Blick und in der Stimme, auch wenn ich singe.

Bei dem Konzert der „uncoolen“ Kellys habe ich es gefunden, diese Menschlichkeit, diese Warmherzigkeit, diese Bodenständigkeit, trotz des Erfolgs. Verletzbar, dennoch voll Lebensfreude und Wärme zu den Menschen/Fans. „Ja,“, denke ich „so uncool will ich auch sein!“.

Und bei allen Überlegungen, wie Kirche sich verändern muss, damit sie bei jüngerem Publikum ankommt, damit sie „cooler“ wird, hoffe ich doch, dass wir uns nicht verkühlen, sondern auch da mit Barmherzigkeit, echter Freude und Wärme im Gesicht, Gottes frohe Botschaft verkünden um authentisch zu sein, Herzen zu heilen und Menschen in ihrem Innersten zu berühren, damit die coole Maske endlich abgenommen werden kann.

Raphaela Reindorf

Foto: Redd Angelo/Unsplash

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