Bilder von mir

An manchen Tagen finde ich mich in einem besonderen Spiegellabyrinth wieder – in einem Labyrinth aus menschlichen Spiegeln. Und wie es in einem solchen Jahrmarktgeschäft üblich ist, sehe ich vor allem mich selbst, reflektiert in vielen verschiedenen Glasflächen, durch die ich meinen Weg finden muss.

Während ich nun durch dieses Labyrinth irre, sehe ich mich umringt von Bildern von mir. In manchen kann ich mich nur schwach und milchig erkennen, andere erscheinen klar und hell. Viele sind eingefärbt, lassen mich in besonders schmeichelhaftem oder unvorteilhaft grellem Licht dastehen, manche machen mich schmal, andere breit, wieder andere über die Maße groß oder unscheinbar klein. Einige Spiegelbilder vergrößern einzelne Aspekte von mir wie mit einer Lupe, andere lassen mich in den skurrilsten Formen erscheinen. Es übt eine Faszination auf mich aus, mich durch diese so unterschiedlichen Spiegel zu sehen. Ich muss schmunzeln, bin verwundert, wende mich verärgert ab oder erschrecke fast ein bisschen vor diesen Bildern, die ja mich darstellen sollen. Mich. Im Spiegelwald, der so unterschiedliche Bilder von mir zeichnet, bin ich kaum noch in der Lage zu sehen, wer das eigentlich ist.

Einige Reflexionen rufen dennoch auch Gefallen in mir hervor. Sie tun gut, sie schmeicheln mir; vielleicht, weil sie meinem eigenen Bild entsprechen, vielleicht aber gerade auch, weil ich mich genau auf diese Weise oft nicht sehen kann. Andere Bilder gefallen mir weniger. Sie zeigen Seiten an mir, die ich sonst gut zu kaschieren weiß, bringen allzu deutlich Vorstellungen hervor, wie ich – wie man – zu sein hat, wirken fast bedrohlich und werden noch einschüchternder, je näher ich ihnen komme. Sie konfrontieren mich; mit der Frage, wer ich wirklich bin, wer ich sein möchte und ob das auch im Widerstand zu diesen übermächtigen Bildern geht.

Viele dieser Spiegelbilder bestärken mich darin, wie ich mich sehe, während andere mich verunsichern, mich mit mir selbst und meinen eigenen Bildern in Konflikt bringen – auch, weil ich merke, dass mir diese Reflexionen nicht egal sind und es mir schwerfällt, ihnen auszuweichen und mich von ihnen zu lösen. Ja, irgendwie ärgert es mich, dass all die Spiegelbilder in diesem Moment so stark auf mich wirken. Einerseits erhoffe ich mir von ihnen Orientierung, andererseits bringen sie mich immer wieder von meinem Weg ab, irritieren mich, verstellen mir den Blick auf mein ganz eigenes Bild.

Und so fühle ich mich manchmal in diesem Spiegellabyrinth zwischen geschönten und getönten Scheiben, zwischen Zerrbildern, Erwartungen und Vorstellungen meiner Mitmenschen gefangen; und frage mich, warum ich nicht viel öfter den Ausgang aus diesem Kabinett finde und mich nicht zu sehr auf die vielen Bilder der anderen, sondern auf mich selbst verlasse. Dabei weiß ich doch eigentlich, dass die unterschiedlichen Reflexionen oft vor allem mit den Spiegeln selbst, ihrem Alter, ihrer Wölbung, ihren Macken und Kerben, ihrem Material, ihrer Beschaffenheit und auch meiner Nähe zu ihnen statt mit den Bildern, die sie werfen, zu tun haben; und dass auch mein Blickwinkel, mit dem ich in sie hineinschaue, das Spiegelbild verändert.

Und dann an manchen Tagen in meinem Labyrinth bringe ich zustande, was zu anderen Zeiten kaum möglich erscheint: Ich atme tief durch, erkenne Muster und sehe immer deutlicher; wer ich bin und wer ich sein möchte, was mir wichtig ist und was mich ausmacht, wo ein Fremdbild gut dazu passt und wo es ein Zerrbild darstellt, das eigentlich vor allem den Spiegel selbst zeigt. Dann finde ich auf einmal den Ausgang aus dem Labyrinth und schaue mir für einen Moment all die Spiegel interessiert von außen an, erkenne ihre Größe und ihre Herkunft, ihre Beschaffenheit und ihre Tücken. Und dann schaffe ich es und vertraue für einen Moment keinem dieser Bilder, sondern nur mir selbst.

Bis zum nächsten Mal im Spiegellabyrinth.

Foto: Kelly Sikkema/Unsplash

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