Balsam in einem hektischen Moment

Wer pendelt, der ist oft im Stress. Das spüre ich in diesen Tagen am eigenen Leibe, denn für mein Studium an der Uni Köln fahre ich viermal wöchentlich von Aachen in die Rheinstadt. Um von Tür zu Tür zu kommen, muss ich einen Zug, eine U-Bahn und zwei Buslinien nehmen. Fällt ein Bus aus oder ist der Zug auch nur wenige Minuten zu spät, hat das sofort Auswirkungen auf meine Anschlüsse. Da ist man schnell schon mal 30 Minuten zu spät.  Bis ich eine dauerhafte Bleibe in Köln haben werde  – vermutlich zu Beginn des nächsten Jahres –  wird das noch zweieinhalb Monate so weitergehen. Stress scheint da quasi vorprogrammiert. Das mühselige Leben eines jeden Pendlers.

Das Leben als Schaffner stelle ich mir allerdings nicht viel einfacher vor. Unzufriedene bis wütende Fahrgäste, die schwarzfahren oder sich über die Bahn beschweren (wofür die Schaffner meistens ohnehin nichts können) und Arbeitszeiten auch in der Nacht und an Feiertagen sind wohl nur zwei Beispiele. Die Beziehung zwischen Fahrgast und Schaffner scheint mir in vielen Fällen vorbelastet. Umso mehr überraschte mich, was ich vergangene Woche in einer Regionalbahn zwischen Aachen und Köln erleben durfte.

„Unser nächster Halt ist in wenigen Minuten Köln Hauptbahnhof“, tönt es standardmäßig aus dem Lautsprecher. „Wir erreichen diesen Halt pünktlich. Gestern noch war diese Verbindung zu spät“. Aha, wem sagt er das. Verspätungen bei der Bahn sind ja nix Neues. Und was interessiert es mich schon? Ich möchte meine nächsten Anschlüsse bekommen und pünktlich auf der Matte stehen.

Ich merke förmlich, wie unruhig ich in diesem Moment bin. Aber die „Ansprache“ des Schaffners an die Fahrgäste im Zug – sie setzt sich fort. „Auch wenn Sie es manchmal anders empfinden, so sind unsere Züge doch meistens pünktlich. Wir Menschen neigen leider immer dazu, das Schlechte im Leben zu behalten und das Gute zu vergessen.“

Seltsam, was der da erzählt. Haben sich etwa Joko und Klaas ans Mikro gesetzt oder bin ich gerade Teil des neusten Coups von Jan Böhmermann? Kurze Pause, dann: „Versuchen  Sie doch öfter an die positiven Sachen zu denken und nicht immer nur an die Schlechten… Und kommen sie gut in ihren Feierabend. Auf Wiedersehen.“

Die Fahrgäste – mich mit eingeschlossen – schauen mit weit geöffneten Augen durchs Zugabteil. Ist das gerade wirklich passiert? Nein, so was erlebt man tatsächlich nicht alle Tage. Die Menschen lächeln einander an und freuen sich über die wenigen, aber aussagekräftigen Worte des Schaffners. Die Türen des Zuges öffnen sich. Es war kein Scherz, es war ein kleiner, spontan ausgesprochener Gedanke, der in einem hektischen Moment wie Balsam wirkte. Glücklich steige auch ich aus dem Zug und nehme die Worte des Schaffners mit auf meinen Weg zur Uni.

David Grzeschik

Foto: Alice Chodura: Verspätung (CC BY-SA 2.0)

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