Wer regiert die Welt?
von Benedikt Grzeschik
Wer regiert die Welt?
von Benedikt Grzeschik
Mein Tag heute war lang. Zu lang. Arbeitstage, an denen das Starren auf Bildschirme die körperliche Bewegung überwiegt, trüben meine Wahrnehmiung, als sähe ich durch eine milchige Fensterscheibe. Ich kenne das gut. Nur Sport hilft dann: Laufen, schwitzen, atmen. In Voraussicht hatte ich die Sporttasche am Morgen gepackt. Nach der Arbeit will ich direkt ins Fitnessstudio.
Kurz vor Feierabend schaue ich zum ersten Mal seit Stunden auf mein Handy. Die Nachricht eines Freundes, den ich seit Monaten nicht gesehen habe, erscheint auf dem Bildschirm. Er sei in Aachen, habe Zeit.
Weil ich mehr von Begegnungen in der realen Welt als von ausschweifenden Telefonaten halte, telefonieren wir kurz. Ich frage ihn, ob er ins Fitnessstudio mitkommen will. Er sagt zu.
Der Bus zum Firnessstudio ist voll. Ich stehe, sehe die Stadt an mir vorbeiziehen und denke an die Schulzeit. Vor seinem Umzug waren mein Freund und ich regelmäßig trainieren. Wenn wir uns dazu trafen, gehörten kleine Unpünktlichkeiten zur Regel. Heute bin ich pünktlich. Ich fange ohne ihn an und denke nicht nach. Der Tag soll hinter mir bleiben. Ich will offen für die Begegnung sein.
Während ich mich in einer Pause umschaue, erkenne ich ihn vom anderen Ende des Raumes. Er sieht aus we immer und wir sprechen, als hätten wir uns gestern das letzte Mal gesehen. Nahtlos knüpfen wir an alte Erinnerungen an und informieren uns gegenseitig über die kleinen und großen Neuigkeiten. Später, kündigte er an, will er mir etwas zeigen.
Draußen, auf dem Parkplatz. Vor uns die Luxuslimousine eines deutschen Automobilherstellers. Er lächelt. Ich sehe die Freude in seinen Augen. Beim Einsteigen begrüßt der Wagen ihn mit seinem Namen. Ich schaue mich um. Ohne Zweifel, das Auto ist schön und ich freue mich, ihn glücklich zu sehen. Trotzdem weiß ich nicht, wie ich reagieren soll. Für das Auto hat er einen Kredit aufgenommen. Zehn Jahre lang wird er ihn abbezahlen. Während er mich nach Hause fährt, verliere ich zum Kredit wenige Worte. Er weiß selbst, um welchen Betrag es geht. Und jeder gibt sein Geld dafür aus, was ihm wichtig erscheint. Am späten Abend bin ich noch mit Freunden verabredet. Vor meiner Tür frage ich, ob er mitkommen will. Er lehnt ab und wir verabschieden uns.
Zu Hause dusche ich, ziehe mich an und gehe los. Drei meiner Freunde sind bereits am Treffpunkt. Wir sind verabredet, um in einer neuen Aachener Szene-Bar etwas zu trinken. Es sind die letzten warmen Nächte des Sommers. Wir sitzen draußen, eine Decke auf meinen Schultern. Die Uhrzeit ist fortgeschritten, die Kaffeemaschine der meisten Lokale längst in Feierabend. Doch ich habe Glück und kann einen Kaffee bestellen. Schwarz, ohne Zucker. In der Ferne blitzt es. Dann Regen. Wir gehen rein.
Im Lokal treffen wir auf einen Arbeitskollegen meines Freundes mit Begleitung. Wir setzen uns zu ihm. Er hat gute Laune und bestellt eine Flasche Champagner. Auf dem Etikett der Name eines französischen Benediktinermönchs, er im 18. Jahrhundert ein Verfahren zur Herstellung von Schaumwein entwickelte. Die Flasche ist hochpreisig. Dennoch lädt er uns ein. Die sechs Gläser füllen sich. und während ich trinke, steigt in mir ein unangenehmer Gedanke auf — denn der Verkaufspreis des Glases entspricht mehr als die Hälfte meines heutigen Tagelohns.
Nach zwei Stunden politischer Diskussionen und guter Gespräche kommt Müdigkeit in mir auf. Ich verabschiede mich, gehe nach Hause.
Kurz vor meiner Wohnung höre ich eine Stimme. Meinen Namen, Ich drehe mich um. Verena steht vor mir. Ihr Haar ist nass vom Regen, Sie ist vor Jahren nach Aachen gezogen. Früher hatte sie Hoffnungen. Heute sieht man ihr die Wunden an, äußerlich wie innerlich, Ausnahmsweise sagt sie, gäbe es gute Neuigkeiten. Das Sozialamt habe sich gemeldet, Noch dieses Jahr bekommt sie eine Wohnung. Die erste eigene in Aachen. Ich freue mich für sie.
Foto: Marina Leonova/pexels