Kronkorkenflug

Das Öffnen einer Flasche mit Kronkorken ist zu hören, dann nochmal und nochmal.
Es ist der Nachrichtenton meines Handys.

Ich schäle die Kartoffeln zu Ende, setze den Topf auf den Herd und öffne die Nachrichten.

Was mir ins Auge fällt ist ein Profilbild einer anderen Person, nicht die frischen Nachrichten.

Das Bild zeigt die kolumbianische Fahne und etwas Drumherum. Ich tippe das Bild an und wundere mich. Da ich kein Spanisch verstehe entschließe ich mich, meinen Kontakt anzuschreiben.

Was steht auf dem Plakat? Worum geht es?

Schnell bekomme ich eine Antwort und es geht ein paarmal hin und her.
Dann entschließe ich mich anzurufen, die Kartoffeln brauchen noch etwas.

Ich höre von den Auswirkungen der Pandemie in Kolumbien, von sozialer Schieflage, von Unruhen und Plünderungen. In allem die Sorge um die eigenen Eltern. Wie geht das Leben weiter, wenn man auf der eigenen Straße Unruhen erlebt und besser im Haus bleibt?

In den Radionachrichten habe ich davon noch nichts mitbekommen, ich vergesse darüber die Kartoffeln und das restliche Essen auf dem Herd.

Die Stimme am anderen Ende des Telefons ist wackelig. Die Sorge, die durch mein Telefon strahlt, ergreift mich. Meine Kinder gießen die Kartoffeln ab, decken den Tisch und schauen mich an. Sie warten auf mich. Ich nicke, als Zeichen, dass sie ohne mich beginnen sollen.

Das Telefonat, in dem vor allem die Person am anderen Ende spricht, dauert noch etwas. Dann verabschieden wir uns.

Ich setzte mich zu meinen jugendlichen Kindern an den Tisch und zünde eine aus dem Schrank geholte Kerze an.

Sie fragen, was mich bedrückt, wer da am Telefon war. Es ist seltsam still am Tisch. Nach und nach wird es lebendiger. Wir alle erzählen von den Menschen, die wir im Zusammenhang mit Kolumbien kennen. Über gemeinsame Erlebnisse und Freundschaften. Fragen uns, wie es den Menschen geht.
Mehr und mehr füllt sich der Tisch mit den Menschen, die wir mit Kolumbien in Verbindung bringen. Da ist Maria, die aus Kolumbien kommt und in unserem Stadtteil wohnt. Sie hat uns schon viel vom Leben in Kolumbien erzählt und gemeinsam haben wir zusammen kolumbianisch gekocht. Ihr Temperament ist zauberhaft und ansteckend. Heinrich nimmt auch bei uns am Tisch Platz. Seine Augen fangen an zu leuchten, wenn er von der Schönheit des Landes erzählt und den Menschen, die dort Leben. Bernhard, Thomas, Susanne, Matthias und Andreas kommen auch in unsere Küche und setzten sich dazu. Sie alle waren schon ein oder mehrere Male in Kolumbien. Haben von Projekten erzählt, der Zerrissenheit des Landes und dem Mut, der Hoffnung, mit der die Menschen ihr Leben in die Hand nehmen. Und dann sind da noch die, deren Namen ich vergessen habe. Kolumbianer:innen, denen wir begegnet sind. Die Atmosphäre der Verbundenheit, des gemeinsamen Traumes nach Frieden und Gerechtigkeit, die in den Begegnungen so deutlich zu spüren war. Wie geht es all denen am Tisch? Und denen, mit denen Sie verbunden sind?

Gemeinsam räumen meine Kinder und ich den Tisch ab und die Küche auf.

Das Öffnen einer Falsche mit Kronkorken ist zu hören. Nochmal und nochmal.

Ich setzte mich an den Küchentisch, die Kinder sind im Haus verstreut und die Kerze brennt noch.

„Danke“
„Es tat gut reden zu können, über das was mich bewegt.“ lese ich.
Es folgt ein Kerzen-Emoji und ein betende Hände-Emoji.

Einen Moment schaue ich die Kerze an. Nach und nach verlassen alle genannten Gäste den Tisch.
Die Kerze puste ich aus, die Gedanken an Kolumbien nehme ich mit in den Tag.

Und dann waren da ja noch die Nachrichten, die reingekommen sind. Vor dem Essen.

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