Evi

Ich versuche es abzuschätzen, als er aus dem Auto steigt. Nicht so schlecht, denke ich, vielleicht ist deine Vorahnung doch falsch. „Und?“ frage ich. „Sie stirbt“, sagt er.

Sechs Jahre leben wir hier. Eine kleine, ruhige Straße gesäumt von Bäumen. Zu dieser Jahreszeit knirscht es, weil sie voll ist mit heruntergefallenen Nüssen. Die Wohnung war ein Glücksfall. Beste Lage und unter dem Durchschnittspreis. Nichts Besonderes, eigentlich. Besonders wurde sie durch unsere Vermieter, die unter uns lebten. Die uns mit Einzug versicherten, wir sollten unsere Wäsche ruhig auch feiertags waschen. Die uns mit einem Schmunzeln erst den zweiten Kellerraum, dann den halben Garten überließen und schließlich das Dachgeschoss für uns ausbauten, als das zweite Kind da war. Sie hüteten den Hund und unzählige Male verdrehte ich innerlich die Augen, wenn die Kinder kurz vor dem Abendessen aus dem hinteren Teil des Gartens mit Eis, Schokolade oder anderen Leckereien auftauchten.

Vor einem Jahr begann dann die Krankheit, die alles veränderte. Unsere lebenslustige, liebenswürdige Vermieterin wurde zum Schatten ihrer selbst. Lange Krankenhausaufenthalte, Rollstuhl, Pflegedienst. Immer wieder denken: Mitte 60, das ist doch heutzutage kein Alter mehr. Mit ihr verlor auch er seine Lebensfreude. Sie kämpften um Normalität, aber wir hörten auch das Türen knallen, sahen die Tränen, die Wut, den Frust. Zwei, die sich verloren gingen. Als der Krankenwagen das letzte Mal kam, da habe ich gespürt, dass es jetzt endet.

Was bleibt, ist Leben. Nicht einen Tag, nicht einen einzigen lohnt es sich zu verschwenden, mit Dingen, die nicht dazu beitragen jemanden glücklich zu machen. Nicht einen.

„Seid fröhlich auf meiner Beerdigung“, hast du gesagt und das ist wohl etwas viel verlangt. Aber hinter der Trauer, Evi, in deinen Kindern und Enkeln, wenn deine Freunde zusammen sind und wann immer wir an dich denken, da wird Leben sein.

So sehr du uns fehlst: Da wird Leben sein. Ich versprechs.

Foto: Markus Spiske/Unsplash

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