Ver-rückte Welt

Eben saß ich noch neben einem bärtigen blau-weißen Einhorn im Bus. Normalerweise nehme ich am Mittwochmorgen immer den Bus. Die 13B in Richtung Ehrenmal. Denn am Mittwoch ist um 8 Uhr Schulmesse. In der Regel treffe ich im Bus aber auf verschlafene Schüler und Studenten, gelangweilte Menschen auf dem Weg zur Arbeit, Musik aus Kopfhörern, Smartphonesymbiosen und Personen auf dem Weg zum Bahnhof.

Heute Morgen war alles irgendwie anders. Ich hatte meinen Weckmann in der Hand und war noch in Predigtgedanken zum kommenden Sonntag, als eine Katze meinen Weg streifte. Schwarz und groß. Allerdings fast 1,80. Zuerst sah ich sie nur von hinten und fand ihre Ohren in der blonden Mähne etwas merkwürdig. Und erst bei den Schnurrhaaren im weißen Gesicht machte es „klick“. Heute ist nicht nur St. Martin – im Rheinland dreht sich ab heute die Welt etwas anders. Karneval!

Ich gebe es gerne zu: Ich bin ein Karnevalsflüchtling. Das liegt am Alkohol, an der Jahreszeit, an der Lautstärke und weil ich nicht von 0 auf 100 auf lustig switchen kann. In dem Punkt bin ich kein (!!!) Rheinländer!

Aber das war noch nicht alles! Im Bus saß ich plötzlich neben dem oben erwähnten bärtigen blau-weißen Einhorn. Vor dem Hauptbahnhof rauchten zwei Mexikaner in Poncho und Strohhut. An einer Haltestelle stand eine kleine, etwa sieben Jahre alte Prinzessin im rosa Kleid und mit Zauberstab. Auf der Wilhelmsstraße wanderte Olivia Newton John über den Bürgersteig, als wäre sie gerade ihrem Musikvideo zu „Physical“ entflohen. Ihre pinke Plastikleggings und das neongelbe Oberteil wurden durch eine blonde Perücke ergänzt. Und auf dem Fußweg von der Haltestelle zur Schule lachte ein Matrose aus dem Fenster, der sich gerade die Haare mit Glitzer stylte.

Aus der Verwunderung über die schwarz-blonde Katze und alle anderen ist Freude geworden. Ich finde es ganz genial, dass Menschen die Welt einfach mal ver-rücken, sie umdrehen und mit anderen Augen sehen. Und etwas traurig denke ich mir: Wo sind die Typen, die das auch mal in unserer Kirche tun? Die, die einfach mal alles etwas ver-rücken und die Welt, wenn auch nur für einen Tag oder eine Session, mit anderen Augen sehen? So eine Kirche wünsche ich mir auch. Ich bin da vielleicht nicht für geeignet, aber ich wünsche mir andere, die das können! Ich würde Euch den Weg dafür gerne bereiten.

Foto: yosuke muroya: Unicorn (CC BY-NC 2.0)

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