Sternenkind

Manchmal spürt man das, wenn Unheil sich ankündigt. Winzige Nuancen einer Ahnung, die einen nicht mehr los lassen. So war es auch, als eine liebe Freundin mir vor wenigen Wochen sagte, dass sie jetzt vorerst liegen müsse, weil es um ihre Schwangerschaft nicht so gut bestellt wäre. Als gestern ihre SMS kam, wir sollten vor unserem nächsten Treffen nochmal telefonieren, wurde die Ahnung Gewissheit.

Sie ist ein Mensch, den ich auf Anhieb ins Herz geschlossen habe, als wir uns vor wenigen Jahren kennenlernten. Aber das Leben macht es ihr nicht leicht. Während die ganze Welt um sie herum schwanger wurde, schien es bei ihr einfach nicht möglich. Und dann hat’s doch geklappt. Und die kritischen Wochen vergingen und alles war gut.

Bis vor wenigen Tagen, als die Hälfte geschafft war. Als es noch vier Wochen waren bis zu dem Punkt, an dem man gewusst hätte, jetzt hat dieses Kind eine Überlebenschance.

Sie ist jetzt im Krankenhaus und muss darauf warten, dass ihr Kind, das bereits unterversorgt ist im Mutterleib, endlich stirbt. Aber das Kind stirbt nicht. Sie wartet darauf, dass Wehen einsetzen und sie eine schmerzhafte Geburt erlebt, an deren Ende nicht das Leben steht, sondern der Tod. Sie wartet darauf, dass da zwar ganz vielleicht noch ein Hauch Leben im ihrem Baby ist, wenn es geboren wird, aber es mit ziemlicher Sicherheit nicht lebensfähig sein wird. Sie sagt, ihr Mann wolle das Kind nicht sehen, wenn es geboren ist, weil er das nicht kann. Sie selber weiß noch nicht, was sie tun wird. Eigentlich will sie nur nach Hause.

Jede dritte Frau verliert ihr Baby während der Schwangerschaft. Die meisten in den ersten Wochen, manche, so wie sie, nach etlichen Wochen mit dem kleinen Lebewesen in ihrem Bauch.

Was alle gemeinsam haben ist, dass es dir das Herz zerreißt, wenn du das Baby verlierst. Dass du deinen Körper hasst, weil er dir das antut und gegen dich arbeitet. Dass du dich fragst, immer wieder, ob du Schuld bist daran, ob du mehr auf dich hättest achten müssen. Dass es ein Teil von dir ist, der für immer verloren ist und der dich trotzdem dein ganzes Leben begleiten wird. Und dass du diese Trauer mit niemandem teilen kannst, manchmal vielleicht nicht einmal mit deinem Mann.

Wir waren verabredet in ein paar Tagen. Alles was sie sagt ist “Ich kann verstehen wenn du mich nicht sehen willst, wenn dir das zu viel ist”. Mir liegt schon vorher ein Stein auf der Seele, jetzt laufen meine Tränen. Ich bin nämlich die, die auch schwanger ist, aber längst über die meisten kritischen Punkte hinweg. In wenigen Wochen werde ich vermutlich mein Kind in den Armen halten. Ich sollte die sein, die fragt, ob das okay ist, wenn wir uns sehen. Denn mein Kind wird leben. Ihres stirbt.

Nachtrag, acht Tage später: Heute morgen ist ihr Baby geboren , sie schreibt, ihr Sohn sei  jetzt im Himmel. Ich kann heut an keinen Himmel glauben. Aber am Abend werde ich eine Kerze anzünden. Das, was wir Christen tun, wenn uns die Hoffnung verlässt und die Nacht dunkel ist. Sternenkinder, so nennt man Babys, die das Licht des Lebens nie erblicken. Seit heute ist es ein Stern mehr.

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