Ohne Filter

Letzte Woche auf einer Party: Ein Bekannter erzählt mir, er hätte letztens erfahren, dass es Apps gibt, mit denen man attraktive Singles im Umkreis von 300 Metern suchen kann. Er selber, Kind der 60er Jahre, war davon total erschüttert. Dass er sein Smartphone selber viel nutze, auch soziale Medien, ja. Aber er würde sich immer freuen, wenn man mal in der Straßenbahn ein nettes Gespräch führen würde. Aber das wäre ja gar nicht mehr möglich, weil alle sich hinter dem Bildschirm verstecken und alle den Kontakt meiden. Warum, fragt er mich, spräche man denn nicht einfach jemanden im wahren Leben an, als ihn erstmal per Medium Internet auf Herz und Nieren zu prüfen?!

Da muss ich überlegen. Vor vielen Jahren, als ich selber Teenie war, kam das Internet auf. Ich verbrachte meine Jugend hinter dem PC, verliebte mich in Wörter ohne Fotos. Irgendwann schickte man sich ein Bild, wenn man sich sicherer war, vielleicht telefonierte man mal. Meine Eltern wissen bis heute nicht, dass ich ständig auf Blind-Dates war, unreflektiert, ohne zu realisieren, dass vielleicht nicht alles so stimmte, was mir mein Gegenüber vermitteln wollte. Erst nach dem Abitur fing ich an, mich davon zu lösen und den Kopf mal nach draußen zu stecken. Ich war davon überzeugt, dass man mich so, wie ich aussah, niemals ansprechen oder gar liebenswert finden würde, also fing ich mir die Menschen über die Seele ein. Dachte, wenn jemand vielleicht das schillernde Innere kennen würde, wäre das andere nicht so schlimm.

Heute in die sozialen Medien zu schauen, heißt nochmal etwas anderes. Da stellt sich ja nicht mehr die Frage, ob ich mich mit Foto präsentiere; Hauptsache alles, was ich von mir preisgebe, zeigt meine beste Seite. Geschönte Bilder, mit Photoshop-Filter gepimpt von mir selbst. Mein attraktiver Partner, meine spektakulären Urlaube, Bilder, in denen ich am Strand hüpfe oder den Sonnenuntergang in der Hand halte. Und ja, das ist so wahnsinnig verlockend, dass wir alle dem immer wieder erliegen. Bilden uns ein wir haben es im Griff, aber dann doch noch einen Kontrastfilter für strahlende Farben über meinem Profilbild, das macht ja auch irgendwie Spaß.

Aus Gedanken gerissen, schaue ich meinen Bekannten an. Wir stehen übrigens in der Besenkammer (die so groß ist wie mein Schlafzimmer) einer Millionen-Euro-Villa neben dem Kühlschrank mit erlesenen Weinen und Champagner. Und irgendwie muss ich schmunzeln, dass wir in dieser Kulisse solch ein Gespräch führen. Meine Antwort ist zögerlich: Ich glaube, dass wir uns gefangennehmen lassen, von dem, was uns täglich präsentiert wird. Von all dem, was die anderen richtig zu machen scheinen. Vor all dem schillernden Glitzern der anderen, wie soll mein zartes Licht da bloß leuchten?

Schreibe ich jemanden an und bekomme keine Antwort, dann lösche ich meine peinliche Mail und hake das Ding ab. Aber wenn ich wirklich, ganz wirklich jemanden anspreche, dann gehe ich das Risiko ein, mich zu zeigen, mich verletzlich zu machen. Dann werde ich vielleicht rot, wenn ich frage, ob wir mal einen Kaffee zusammen trinken. Dann begegne ich diesem Menschen vielleicht hin und wieder und werde daran erinnert. Dann lebe ich in ständiger Ungewissheit, weil die Realität viel weniger steuerbar ist.

Aber letztlich, wann immer ich jemanden spannend fand auf den ersten Blick, da war das in den wenigsten Fällen das Äußere, wobei das natürlich eine große Rolle spielt. Aber meistens ist das, als könnte ich in einer klitzekleinen Sekunden einen Blick durch die Augen dieses Menschen in sein Inneres werfen und sehen, dass dort eine Kiste mit unerschöpflichen Reichtümern auf mich wartet. Und ich glaube, diese Erfahrung ist es mir wert, mich verletzlich zu machen und meine Maske fallen zu lassen.

Nächstes Mal frag ich, ob wir das nicht wirklich machen wollen, mit dem Kaffee. In echt sozusagen. Ohne Filter. Versprochen.

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