Eine Osternacht

Dieses Jahr ist alles anders. Keine österliche Liturgie. Das scheitert am verschnupften Kind und am fehlenden Babysitter.

Am Gründonnerstag gehen wir essen. Mit meiner ältesten Freundin. Danach sitzen wir bei uns bei Whisky und Rotwein. Und während die Herren bald fachsimpeln über dieses und jenes, schwelgen wir in Erinnerungen. 30 Jahre Freundschaft. Wir schauen alte Fotos, wir erzählen, wir lachen. Irgendwann ist es Nacht. Und ich muss daran denken, dass es so gewesen sein muss, beim letzten Abendmahl. Vielleicht ging es dem einen oder anderem wie mir, mit dem Wunsch, das alles möge nicht enden. In meinem Fall reist Steffi nur zurück nach Berlin, wo sie seit einigen Jahren lebt. Im Alltag geht es gut ohne einander. Aber bei jedem Abschied möchte ich sie festhalten und sie bitten, zu bleiben. Jesus wünscht sich das. “Bleibt hier und wacht mit mir”, bittet er, in dem Wissen was kommt.

Am Karfreitag gehen wir durch ihr Elternhaus. Sie hat innerhalb von wenigen Jahren beide Elternteile von heute auf morgen durch Herzinfarkt verloren. Das Haus zu leeren ist eine never ending story, ein Jahrhundertprojekt. Unzählige Male war ich dort, habe Dinge mitgenommen. Langsam wird’s ernst. Das Aussuchen von Dingen, die ich gebrauchen kann, fühlt sich an wie Gräber zu schänden. Vielleicht kommt er jetzt erst an, der Tod der beiden Menschen, bei denen ich meine halbe Kindheit verbrachte. Bisher sah es im Haus immer noch so aus, als wäre nur mal jemand kurz einkaufen gegangen. Inzwischen ist das Haus ausgekühlt. Meine Finger streifen über Möbel, Bilder, Textilien. Im Radio läuft Klassik, wie früher. Und doch ist da kein Leben mehr. Das Haus atmet nicht mehr. Als ich gehe, gibt es eine Liste von Dingen, die ich mitnehmen möchte. Damit ist der Tod wohl endgültig. Und eines Tages wird das Haus leer sein und die Erinnerung wird schwinden. Ich glaube deshalb erinnern wir uns an Karfreitag. Auch wenn’s weh tut. Auch wenn es uns mit Leid und Schmerz und Angst und Trauer konfrontiert. Weil da sonst nur Leere wäre. Aber solange wir fühlen, solang sind wir noch da. Solang sind die noch da, die endgültig fort sind.

Die Osternacht startet wachend  am Bett des hustenden Kindes. Ausharrend im Dunklen, wartend auf heilsamen Schlaf. Danach noch Backen für’s Fest. Als ich das Abendessen von gestern in die Mikrowelle stelle, ist es fast neun. Egal. Ein Glas Rotwein und dann zünde ich die Osterkerze an. Zwei Minuten später beginnen die Glocken zu läuten. 200 Meter weiter in der Kirche feiern sie jetzt Auferstehung.

Vielleicht ist es Zeit umzuräumen. Da sind Bilder, Geschirr, Möbel, die demnächst einziehen. Sie werden mein Zuhause schöner machen. Und wärmer. Mitten im Leben. Ihre Geschichte ist nicht zu Ende. Ostern.

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