Begegnungen der dritten Art

Griechenland 2016, es sind unsere Flitterwochen auf Rhodos. Die Sonne knallt erbarmungslos und wir düsen in einem gemieteten Cabrio um die Insel. Eigentlich wollten wir nur die gut ausgebaute Straße, welche um die Insel fährt nehmen, aber das Kloster Thari mit seinen byzantinischen Wandmalereien und kunstvollen Fresken aus dem 15 Jh. in den Bergen interessiert uns doch so sehr, dass wir einen kurzen Abstecher machen wollen und die Hauptstraße verlassen. So fahren wir über die schmale Straße, die wir eher als Gasse bezeichnen würden und die in engen Kurven den Weg hinauf zum Kloster führt. Bachläufe queren die enge Straße, Büsche ragen herein, als wäre schon seit Jahren niemand hier durch gefahren und um uns herum ein Endzeitszenario: abgebrannte Baumstümpfe zeugen davon, dass hier mal ein Wald gestanden haben muss, der aber bei einem Feuer scheinbar komplett zerstört wurde.

Fast idyllisch könnte es sein, wäre da nicht dieser alte dicke Jeep hinter uns, der permanent aufs Vollgas drückt und mich langsam nervös macht. Vor einer engen Kurve ohne Leitplanke, vor der wir abbremsen geschieht es dann: ein dicker Knall und der Jeep hängt uns hinten im Auto. Na super, genau das, was man auf seinen Flitterwochen braucht: ein Autounfall. Zum Glück ist außer einer Menge Blechschaden nichts passiert, doch der Fahrer im Jeep hinter uns ist kurz vorm Platzen. Schnell wird uns bewusst, dass er kein Wort Englisch oder Deutsch spricht, und wir uns nicht verständigen können. Diese Tatsache scheint ihn noch wütender zu machen. Ohne Unterbrechung brüllt er auf Griechisch in sein Handy rein. Ich werde noch nervöser und frage mich, was nun passieren soll. Ich rufe die Autovermietung an und bitte sie, den Mann zu beruhigen, weil ich mittlerweile sogar Angst vor ihm habe. Der Mann am anderen Ende sagt, dass wir ca. eine Stunde warten müssten, bis jemand mit einem neuen Auto käme, um es auszutauschen – unseres ist nicht mehr fahrtüchtig. Gefrustet lege ich auf und hoffe, dass diese Stunde schnell vorbei gehen mag. Nichtmals das Verdeck lässt sich schließen um uns vor der Sonne zu schützen und so sitzen wir angespannt und in der Sonne brutzelnd im Auto und warten. Der Mann aus dem Jeep telefoniert und brüllt weiter und beginnt den Müll aus seinem Auto in die schöne Landschaft zu werfen und schlägt dann wieder auf seinen Sitz ein oder tritt gegen das Auto. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt.

20 Minuten später rollt plötzlich ein uralter riesiger LKW in rostrot die kurvige Strecke zu uns hoch. Uwe – mein Mann – und ich schauen uns entsetzt an. Wie will der auf der engen Straße an unseren demolierten Autos vorbei, ohne den Abhang runter zu fliegen? Aber er schafft es, dreht sogar irgendwo noch und fährt wieder an uns vorbei und stoppt dann vor uns. Es steigen zwei ältere Männer in Arbeitsklamotten aus. Der eine etwas kräftiger, graues längeres Haar, der andere schmal und ausgemergelt. Der Kräftige schenkt uns ein breites Lächeln, das sein gesamtes Gesicht einnimmt und nickt. Dann gehen beide zum Jeep hinter uns und beginnen auf den Jeepfahrer einzureden. Zu dritt versuchen die Männer die Stoßstange des Jeeps hinter dem Reifen und aus der Motorhaube zu ziehen – vergeblich. Dann geht der kräftigere Mann in seinen LKW und holt ein dickes Seil raus. „Die wollen doch nicht etwa… Doch, die wollen!“ sagt Uwe und schüttelt entsetzt den Kopf. Die Herren binden das eine Seilende an der Stoßstange des Jeeps fest und das andere am LKW und versuchen auf diesem Weg die Stoßstange des Jeeps aus dem Motorraum zu ziehen und gerade zu rücken. „Ich sehe uns schon den Jeep um die Ohren fliegen“ sagt Uwe nervös lachend und ich erkenne wieder einmal, wie unterschiedlich die Gemüter unterschiedlicher Nationen sein können. Doch zu unserer Überraschung packen die drei Männer es und der Jeep steht wieder einsatz- und fahrbereit, wenn auch etwas zerknautscht, vor uns. „Wir warten mit Euch. Es müssen Fotos gemacht werden!“ sagte der schmale ältere Mann. „Wir sind Arbeitskollegen von ihm.“ – er zeigt auf den Fahrer des Jeeps „Er ist unser Boss!“. Der kräftige Mann grinst uns bei dem Wort „Boss“ fett an. Dann sieht er mich besorgt an und fragt ob wir Kaffee wollen? Er spricht anders als der Schmalere kaum Deutsch. Ein wenig Englisch-Griechisch-Mix. Wir verneinen. Plötzlich verschwindet er in der Prärie und kommt kurz danach mit einem Büschel Pflanzen wieder. Er schaut mich an und geht zu Uwe und reicht ihm die Pflanzen. Dabei zeigt er auf mich und dann auf seine Nase und signalisiert, dass ich an dem Zeug schnüffeln soll. Es scheinen Heilpflanzen oder sowas zu sein und sie strömen einen sehr intensiven Geruch aus, der sehr gut riecht. Ich stecke meine Nase in das Kraut und merke tatsächlich, dass der Geruch eine positive Wirkung auf mich hat und ich ruhiger werde. Die beiden Männer setzen sich an den Straßenrand und der Schmalere versucht ein wenig zu plaudern und übersetzt was der Kräftigere sagt. Dieser hat mittlerweile diese Pflanzen wie einen Lorbeerkranz um seine Ohren gesteckt und sitzt vergnüglich im Gras. „Einen Sohn hat er.“, sagt der Schmale und weist auf seinen Kollegen „Er ist sehr stolz auf ihn!“. Der kräftige Mann nickt und grinst wieder breit. Plötzlich kommt der „Boss“ aus seinem Auto und reicht den beiden ein Stück seines Sandwiches. Die drei Herren essen, aber dem Kräftigen scheint es unangenehm zu sein. Als er aufgegessen hat, steht er auf und verschwindet wieder in seinem LKW. Als er heraustritt und zu uns kommt, hält er im Arm einen dicken runden Laib Brot, den er vor uns auseinanderbricht und für Uwe und mich zwei dicke Stücke rausreißt. „Essen!“ sagt er und zeigt auf seinen Mund. Wir nehmen dankend an, aber nach Essen ist uns nicht zu Mute und so lassen wir die Stücke in meiner Tasche verschwinden, während er das Brot wieder in den LKW bringt.

Am Abend im Hotel:

Uwe und ich sind ganz schön platt von der aufregenden Begegnung und haben leichte Nackenschmerzen vom Unfall. Plötzlich fällt uns das Brot in meiner Tasche ein und wir holen es heraus und probieren es. Es schmeckt köstlich. Während wir essen beginnen wir über diesen kräftigen Mann zu reden, diese Begegnung der dritten Art: wie er mich mit diesen Pflanzen beruhigte, wie seine lockere und positiv-fröhliche Ausstrahlung uns in dieser Situation im Nirgendwo geholfen hat, wie er das Brot für uns gebrochen hat und über seinen Sohn berichtete, auf den er so stolz ist. Mit seinem von Pflanzen umkränzten lächelnden Gesicht im Kopf muss ich auf einmal selbst grinsen und denke an die Begegnung der zwei Jünger mit dem Auferstandenen auf dem Weg nach Emmaus. Und ich fühlte mich, wie einer dieser Jünger, die erst im Nachhinein begriffen haben, welch kostbare Begegnung sie erleben durften, während sie gefangen waren in ihrem Kummer und Leid, so wie wir in dem Schrecken nach dem Unfall und ich denke „Den hat uns heut der Himmel geschickt!“. Ein Gefühl, eine Begegnung, für die ich im Nachhinein sehr dankbar bin und die mich weiterhin begleitet. Es gibt sie also, die Begegnungen der dritten Art.

Raphaela Reindorf

Foto: Bugeater: passenger side not looking great either (CC BY-NC 2.0)

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